Entscheidungsstichwort (Thema)

frühzeitige Kündigung. beabsichtigte Betriebsstilllegung. anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit. Darlegungslast. Beweislast. Dringender betrieblicher Grund. Rechtsmissbrauch

 

Leitsatz (amtlich)

Eine frühzeitige Kündigung (hier: 2 Jahre vor beabsichtigter Stilllegung) kann rechtsmissbräuchlich sein.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Lübeck (Urteil vom 22.07.2010; Aktenzeichen 1 Ca 46/10)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 22.07.2010 – 1 Ca 46/10 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung sowie um Weiterbeschäftigung.

Die Beklagte ist eine 100%-ige Tochtergesellschaft der M. AG. Sie betreibt in Deutschland Hotels, im Dezember 2009 an 16 Standorten, heute an 13. Im M. Hotel in L. beschäftigt sie 132 Arbeitnehmer.

Die am …1950 geborene, verheiratete Klägerin ist seit dem 01.07.1981 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Leiterin Frühstück. Sie arbeitet im Hotelbetrieb M. in L. mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden und einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von 1.379,00 EUR. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag vom 01.07.1981 (Bl. 55 d. A.).

Die Alleingesellschafterin der Beklagten befasste sich am 18.11.2009 mit der strategischen Ausrichtung der von der Beklagten in Deutschland betriebenen Hotels, u. a. des M. Hotels in L.. Die Alleingesellschafterin beschloss, den für das Hotelgebäude in L. bestehenden Mietvertrag nicht zu verlängern, sondern zum 31.12.2011 auslaufen zu lassen, zu diesem Zeitpunkt den Hotelbetrieb in L. einzustellen und, soweit notwendig, bestehende Arbeitsverhältnisse zu kündigen (vgl. Anlage B 2 = Bl. 32 f. d. A.). Die Beklagte sprach mit Schreiben vom 11.12.2009 gegenüber der Vermieterin des Hotelgrundstücks, der H. GmbH & Co. KG, die fristgemäße Kündigung zum 31.12.2011 aus (Anlage B 3 = Bl. 34 d. A.). Bei der Agentur für Arbeit erstattete die Beklagte Anzeige gemäß § 17 KSchG. Mit Bescheid vom 15.01.2010 sah die Agentur für Arbeit von einer Änderung der Sperrfrist nach § 18 KSchG ab.

Am 17.12.2009 hielt die Beklagte im Hotelbetrieb in L. eine Betriebsversammlung ab. Sie unterrichtete die Belegschaft darüber, dass die Geschäftsführung der Beklagten sich entschieden habe, den Mietvertrag nicht über den 31.12.2011 hinaus zu verlängern und den Hotelbetrieb zu diesem Zeitpunkt einzustellen. Ausgangs der Betriebsversammlung wurde den anwesenden Mitarbeitern, unter anderem der Klägerin, die Kündigung zum 31.12.2011 übergeben. Die Mitarbeiter erhielten gleichzeitig ein Begleitschreiben. Wegen des Inhalts wird auf Bl. 10 der Akte verwiesen.

Die Klägerin wendet sich gegen die Kündigung vom 17.12.2009 und verlangt Weiterbeschäftigung.

Sie hat gemeint, die Kündigung sei unwirksam. Dringende betriebliche Erfordernisse lägen nicht vor. Die mit einer mehr als zweijährigen Frist ausgesprochene Kündigung erlaube keine Beurteilung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten.

Die Klägerin hat beantragt

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 17.12.2009 nicht beendet wird und
  2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu Ziffer 1 die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Chef de Bar weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, es handele sich nicht um eine unzulässige Vorratskündigung. Die unternehmerische Entscheidung, den Mietvertrag auslaufen zu lassen und den Hotelbetrieb zum 31.12.2011 zu schließen, sei abschließend getroffen worden. Die Kündigung sei auch nicht deshalb unzulässig, weil sie mit einer langen Frist ausgesprochen sei. Die Beklagte verstehe sich als soziale Arbeitgeberin. Sie habe den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durch die rechtzeitige Kündigung die Möglichkeit geben wollen, sich rechtzeitig umzuorientieren. Sämtliche Rechte der Klägerin seien gewahrt, weil bei Fortführung des Hotelbetriebes durch einen anderen Erwerber ein Betriebsübergang vorliegen würde. Selbst wenn die Beklagte den Betrieb fortführen sollte, sei die Klägerin durch den Wiedereinstellungsanspruch geschützt. Schließlich verfüge die Beklagte über eine interne Stellenbörse, im Rahmen derer die von Schließungen betroffenen Mitarbeiter bevorzugt bei einer Vermittlung innerhalb der M.-Gruppe berücksichtigt würden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Kündigung der Beklagten vom 17.12.2009 sei sozial ungerechtfertigt. Dringende betriebliche Erfordernisse setzten voraus, dass der Arbeitgeber bei Kündigungsausspruch davon ausgehen müsse, bei Ablauf der Kündigungsfrist bestehe keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr für den gekündigten Arbeitnehmer. Kündige der Arbeitgeber so frühzeitig, dass es für ihn nur mit einem erhöhten Prüfungsaufwand möglich sei, festzustellen, ob bis z...

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