Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsrat. Unterlassung. politische Äußerungen. Parteipolitische Betätigung im Betrieb nicht bei Aufruf gegen den Irak-Krieg

 

Leitsatz (amtlich)

Das Verbot parteipolitischer Betätigung im Betrieb erfasst nicht einen Aufruf gegen den Irak-Krieg. Dieser kann ggf. den Frieden des Betriebs beeinträchtigen.

In einem Unternehmen mit amerikanische Mutter, in dem Güter hergestellt werden, die in dem Krieg eingesetzt werden, kann ein Aufruf gegen den Irak-Krieg gerechtfertigt sein, wenn dabei die ethische Frage aufgeworfen wird, ob die Unterstützung des Krieges durch die eigene Arbeit hinzunehmen ist.

 

Normenkette

BetrVG § 74 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Lübeck (Beschluss vom 15.04.2008; Aktenzeichen 3 BV 165/07)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 17.03.2010; Aktenzeichen 7 ABR 95/08)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 15.04.2008 – 3 BV 165/07 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Dem Antragsgegner wird aufgegeben, es künftig zu unterlassen, an die Mitarbeiter des Betriebes gerichtete politische Wahlempfehlungen abzugeben und

es zu unterlassen, Informationen, Äußerungen und Aufrufe der genannten Inhalte und Themen über das Intranet der Antragstellerin, über das betriebliche Mitteilungsbrett des Antragsgegners, per Rundschreiben, email, Flugblatt oder in sonstiger Form den

Arbeitnehmern im Betrieb zur Verfügung zu stellen oder sonst zur Kenntnis zu bringen.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Der Antragsgegner ist der im Betrieb der Antragstellerin gebildete Betriebsrat. Die Antragstellerin begehrt die Unterlassung politischer Äußerungen.

Der Betriebsrat veröffentlichte am 15.04.2003 folgenden Aufruf (Bl. 20 d.A.):

Nein zum Krieg

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

seit 20. März führen die Regierungen Englands und der USA Krieg gegen den Irak.

Opfer dieses Krieges sind wie in allen Kriegen die einfachen Leute – Frauen und Kinder. Alte und Junge, Zivilisten und Soldaten – sie werden verwundet und / oder getötet.

Die Zivilbevölkerung leidet nicht nur unter Bomben und Raketen, sondern auch durch den Zusammenbruch der Infrastruktur, der Wasser- und elektrischen Versorgung. Hunger und Seuchen werden weitere Todesopfer fordern.

Dies sind die Gründe, warum schon vor Kriegsbeginn weltweit Menschen, einschließlich der Gewerkschaften, gegen die amerikanische und britische Politik protestierten. In einigen Ländern waren diese Friedensdemonstrationen die größten Kundgebungen der Geschichte. Obwohl dies nicht den Ausbruch des Krieges verhindert hat, ist es doch noch immer nötig und sinnvoll, politischen Druck aufzubauen, um den Krieg sofort zu beenden.

Als Mitarbeiter einer amerikanischen Firma, die Rüstungsgüter, die im aktuellen Krieg, im Irak zum Einsatz kommen, herstellt, sie verkauft und damit Gewinne erzielt, empfinden wir eine besondere Art der Verantwortung.

Wir möchten diese Botschaft bis an die US-Regierung herantragen über die Kette des lokalen, nationalen und europäischen Managements.

Die Mehrheit der Mitarbeiter an den europäischen Standorten von H. widersetzt sich dem Krieg gegen den Irak.

Mr. Bush – Raus aus dem IRAK!

Wir erwarten, dass diese Botschaft an das oberste Management von H. weitergeleitet wird und erwarten, dass das Management die Botschaft seinerseits an die US-Regierung weiterleitet.

Dieser Antrag wurde von den Arbeitnehmervertretern des Europäischen Betriebsrates von H. anlässlich der jährlichen Sitzung am 10. April 2003 in M. verabschiedet.

Wir rufen alle Mitarbeiter an allen europäischen Standorten auf, diesen Antrag zu unterstützen:

Informiert die Kolleginnen und Kollegen.

Unterstützt den Antrag dadurch, dass die örtlichen Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaften diese Resolution diskutieren und verabschieden.

Leitet diese Resolution an die örtliche Geschäftsführung weiter mit der Aufforderung sie an die nächst höher gelegene Stelle weiterzugeben.

Die Arbeitgeberin forderte den Betriebsrat mit Schreiben vom 23.04.2003 auf, diese Bekanntmachung von allen Informationsbrettern im Betrieb zu entfernen, weil es sich um verbotene parteipolitische Betätigung handele. Der Betriebsrat wies mit Aushang vom 24.04.2003 (Bl. 19 d. A.) die Mitarbeiter erneut auf den Aufruf hin. Die Arbeitgeberin leitete entgegen ihrer Ankündigung damals kein gerichtliches Verfahren ein.

Am 10.10.2007 versandte der Betriebsrat über das Intranet der Arbeitgeberin an alle email-Nutzer in G. eine Aufforderung, sich am Volksentscheid in H. zu beteiligen. Beigefügt waren ein Schreiben der H.er Gewerkschaftsvorsitzenden im DGB an den Bürgermeister B. (Bl. 14 d.A.) sowie weitere Unterlagen (Bl. 14-16 d. A.). Außerdem hängte er diese Unterlagen am Schwarzen Brett im Betrieb aus. Die Schreiben haben folgenden Inhalt:

Mail vom 10.10.2007:

auf dem Laufwerk „c. auf ‚h.’ (M:) unter

„\\h.\c.\Betriebsrat\lnformationen\2007\2007… volksentscheid.pdf” und

„\\h.\c.\Betriebsrat\lnfo...

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