Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch des Betriebsrats bei mitbestimmungswidrigen Maßnahmen des Arbeitgebers im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Mitbestimmung des Betriebsrats bei Erstellung von Gefährdungsbeurteilungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Mitbestimmung des Betriebsrats ist im Rahmen von § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG Wirksamkeitsvoraussetzung für das Handeln des Arbeitgebers. Flankierend zu seinem Mitbestimmungsrecht kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber das Unterlassen mitbestimmungswidriger Maßnahmen verlangen. Ist das mitbestimmungspflichtige Handeln bereits vollzogen, besteht auch ein Beseitigungsanspruch.

2. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 4 BetrSichV und § 3 ArbStättVO erfasst auch die Erstellung der Gefährdungsbeurteilung. Konkret erfasst es die Festlegung der Regeln, nach denen die Gefährdungsbeurteilung zu erfolgen hat. Der Zeitpunkt, an dem die Gefährdungsbeurteilung durchzuführen ist, unterliegt dagegen nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats.

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 1; ArbStättVO § 3 Abs. 3, § 9 Abs. 1 Nr. 1; BetrSichV § 4 Abs. 1, § 22 Abs. 1 Nr. 7

 

Verfahrensgang

ArbG Kiel (Entscheidung vom 02.12.2020; Aktenzeichen 4 BVGa 60 b/20)

 

Tenor

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Kiel vom 02.12.2020 - 4 BVGa 60 b/20 - wird zurückgewiesen.

 

Gründe

A. Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens über die Inbetriebnahme einer neuen Zustellbasis einschließlich einer Paketverteilanlage vor Durchführung einer mitbestimmten Gefährdungsbeurteilung.

Die Antragsgegnerin (Arbeitgeberin) ist für die Zustellung und Verteilung von Briefen und Paketsendungen in S...-H... und Teilen M...-V... zuständig. Sie beschäftigt in ihrer Niederlassung ca. 6.000 Arbeitnehmer. Pakete werden im Paketzentrum N... angeliefert und von dort in die verschiedenen Zustellbasen verteilt, u.a. bislang in das Zustellzentrum in K...-G..., K....

Die Arbeitgeberin plante, in der E... ... in K...-W... eine neue mechanisierte Zustellbasis (MechZB) für die Paketzustellung in Betrieb zu nehmen. Es handelt sich hierbei um eine große Halle, an deren Längsseiten sich ca. 25 Verladetore für Paketzustellfahrzeuge befinden. Die Pakete sollen von N... aus angeliefert, entladen und über eine Paketverteilanlage zu den jeweiligen Beladetoren transportiert werden. Im Juli 2020 forderte der Antragsteller (Betriebsrat) die Arbeitgeberin auf, mit ihm Verhandlungen über die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung vor Inbetriebnahme der MechZB aufzunehmen.

Seit Januar 2019 verhandelt die Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat in einer Einigungsstelle über die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, § 5 ArbSchG. Einen Antrag des Betriebsrats, wegen der von der Arbeitgeberin beabsichtigten Inbetriebnahme der MechZB eine weitere Einigungsstelle zur Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung vor Aufnahme der Tätigkeiten in der MechZB einzusetzen, hat das Arbeitsgericht Kiel mit Beschluss vom 26.11.2020 rechtskräftig zurückgewiesen, da hierfür die bereits bestehende Einigungsstelle zuständig sei (ArbG Kiel - 5 BV 61 f/20).

Am 05.01.2021 ist die MechZB mit geplanten 63 Zustellbezirken vollständig in Betrieb genommen worden, wobei bislang die Pakete nicht über die Paketverteilanlage, sondern über Rollbehälter angeliefert werden. Zuvor erstellte die Arbeitgeberin auf Grundlage einer ohne Zustimmung des Betriebsrats herangezogenen "Mustergefährdungsbeurteilung"eine Gefährdungsbeurteilung, die Handlungsbedarf auswies.

Am 04.08.2020 hat der Betriebsrat ein Hauptsacheverfahren vor dem Arbeitsgericht Kiel mit dem Ziel eingeleitet, der Arbeitgeberin die Aufnahme von Tätigkeiten in der MechZB vor Erstellung einer mitbestimmten Gefährdungsbeurteilung zu untersagen. Ein Termin ist in diesem Verfahren aktuell für Mai 2021 anberaumt. Mit seinem am 18.11.2020 eingegangenen Antrag begehrt der Betriebsrat im Wege des Erlasses einer einstweiligen Verfügung die Untersagung der Aufnahme von Tätigkeiten in der MechZB sowie der Inbetriebnahme der Paketverteilanlage, bevor nicht eine von ihm mitbestimmte Gefährdungsbeurteilung erfolgt ist.

Zur Begründung hat er auf sein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hingewiesen sowie darauf, dass gemäß den §§ 3, 3a ArbStättVO, 4 BetrSichV vor Inbetriebnahme einer neuen Betriebsstätte und vor Verwendung eines neuen Arbeitsmittels eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt werden müsse. Bei einem Verstoß gegen dieses Mitbestimmungsrecht stehe ihm auch während eines laufenden Einigungsstellenverfahrens nach der Rechtsprechung des BAG ein Unterlassungsanspruch zu, damit es nicht zu einer betriebsverfassungswidrigen Lage komme. Dem entsprechend habe das BAG auch entschieden, dass eine Maßnahme des Gesundheitsschutzes, die ohne Einigung mit dem Betriebsrat durchgeführt worden sei, beseitigt werden müsse. Im Rahmen des laufenden Einigungsstellenverfahrens habe die Arbe...

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