Entscheidungsstichwort (Thema)

Beteiligungsfähigkeit des Betriebsrats am Beschlussverfahren nach Betriebstilllegung. Unterlassungsanspruch des Betriebsrats bei Verletzung von Mitbestimmungsrechten aus § 87 Abs. 1 BetrVG. Unterlassungsanspruch des Betriebsrats bei grober Verletzung von Mitbestimmungsrechten aus §§ 99 ff. BetrVG. Einstweilige Verfügung und Verfügungsgrund bei bevorstehender Betriebsschließung. Keine einstweilige Verfügung mit Wirkung für die Vergangenheit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Betriebsrat ist aufgrund des ihm nach der Betriebsstilllegung gemäß § 21b BetrVG zustehenden Restmandats weiterhin beteiligtenfähig i.S.v. § 10 ArbGG.

2. Der Betriebsrat kann sich für sein Unterlassungsbegehren auf eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG stützen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann sich der Betriebsrat gegen zu erwartende weitere Verstöße des Arbeitgebers gegen ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 BetrVG, unabhängig von den Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG im Wege eines allgemeinen Unterlassungsanspruchs wehren (BAG 22. August 2017 - 1 ABR 3/16 - Rn. 23, juris).

3. Dem Betriebsrat steht zwar kein allgemeiner, von den Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG unabhängiger Unterlassungsanspruch zu, um eine gegen § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG oder § 100 Abs. 2 BetrVG verstoßende personelle Einzelmaßnahme zu verhindern. Allerdings kann der Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG, der durch den Aufhebungsanspruch nach § 101 BetrVG nicht verdrängt wird, auch im Wege einer einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden (vgl. BAG 23. Juni 2009 - 1 ABR 23/08 - Rdn. 25, NZA 2009, 1430; Fitting BetrVG 29. Aufl. § 23 Rn. 76). Gemäß der zutreffenden Begründung des Arbeitsgerichts hat die Arbeitgeberin grob gegen die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gemäß §§ 99 ff BetrVG verstoßen, indem sie die genannten Leiharbeitnehmer ohne Beteiligung des Betriebsrats eingestellt bzw. das in § 100 BetrVG vorgesehene Verfahren nicht eingehalten hat. Diese fortgesetzte Missachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats hat das Arbeitsgericht zu Recht als groben Verstoß bewertet.

4. Für den erforderlichen Verfügungsgrund muss die Besorgnis bestehen, dass die Verwirklichung des Rechts ohne eine alsbaldige einstweilige Regelung vereitelt oder wesentlich erschwert wird (§§ 935, 940 ZPO). Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach § 85 Abs. 1 ArbGG Beschlüsse in anderen als vermögensrechtlichen Angelegenheiten erst nach Rechtskraft vollstreckbar sind. Danach ergibt sich die für den Verfügungsgrund notwendige Dringlichkeit hier bereits daraus, dass der Betriebsrat die mit den Anträgen zu 2) und 5) verfolgten Unterlassungsansprüche in der Zeit bis zur Schließung des Betriebes nicht mehr rechtzeitig im Hauptsacheverfahren hätte durchsetzen können. Bei der beantragten Unterlassungsverfügung als Fall der Leistungsverfügung ist zur Annahme eines Verfügungsgrundes neben der erforderlichen Dringlichkeit i.S.v. §§ 935, 940 ZPO stets eine Interessenabwägung vorzunehmen. Bei den Anforderungen, die an den Verfügungsgrund zu stellen sind, können das Gewicht des drohenden Verstoßes und die Bedeutung der umstrittenen Maßnahme einerseits für den Arbeitgeber und andererseits für die Belegschaft angemessen berücksichtigt werden (BAG 03. Mai 1994 - 1 ABR 24/93 - Rn. 44, NZA 1995, 40). Dabei hängt der Ausgang der zusätzlich erforderlichen Interessenabwägung in erster Linie davon ab, ob die Rechtslage eindeutig zugunsten des Betriebsrats oder des Arbeitgebers spricht (LAG Köln 12. Juni 2012 - 12 Ta 95/12 - Rn. 54, juris; Schwab/Weth ArbGG 5. Aufl. § 85 Rn. 65).

5. Die mit der Anschlussbeschwerde weiterverfolgten Anträge beziehen sich auf den Einsatz von Leiharbeitnehmern im Betrieb, der bereits geschlossen worden ist. Dementsprechend könnte eine erst danach erlassene einstweilige Verfügung keine Wirkung mehr entfalten. Auch wenn gemäß den obigen Ausführungen ein zeitlich befristeter Unterlassungstitel auch nach Zeitablauf unverändert rechtsbeständig bleibt und bei während des Verbotszeitraums begangenen Zuwiderhandlungen die Grundlage für eine Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO bildet, ändert dies nichts daran, dass eine einstweilige Unterlassungsverfügung nach Ablauf des maßgeblichen Zeitraums, d.h. nach bereits erfolgter Betriebsschließung nicht mit Wirkung für die Vergangenheit erlassen werden kann. Im maßgeblichen Zeitraum bis zur Betriebsschließung lag in Bezug auf die Anträge zu 1), 3) und 4) kein Unterlassungstitel vor, gegen die die Arbeitgeberin hätte verstoßen können. Das mit diesen Anträgen weiterverfolgte Unterlassungsbegehren kann nach der zwischenzeitlichen Betriebsschließung mangels rechtzeitig erwirkten Unterlassungstitels nicht mehr im Wege der Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO durchgesetzt werden. Mithin liefe die Entscheidung über die vorgenannten Anträge auf ein Rechtsgutachten hinaus. Hierfür fehlt das Rechtsschutzbedürfnis (vgl. hierzu LAG Rheinland-Pfalz 04. Mai 2011...

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