Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsmissbräuchliche Leiharbeit bei befristeter Beschäftigung mit Daueraufgaben. Unbegründeter Antrag der Arbeitgeberin auf Zustimmungsersetzung zur befristeten Einstellung einer Leiharbeitnehmerin aufgrund richtlinienkonformer Gesetzesauslegung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG aufgenommene Begriff "vorübergehend" ist im Rahmen der unionsrechtskonformen Auslegung dahingehend zu konkretisieren, dass je nach Fallkonstellation sowohl eine personenbezogene als auch eine aufgabenbezogene Betrachtung zu erfolgen hat und ein Leiharbeitnehmer bei objektiv dauerhaft anfallender Arbeit nur zu deren aushilfsweiser Wahrnehmung herangezogen werden darf. Anderenfalls ist sein Einsatz nicht mehr "vorübergehend".

2. Das gilt auch, wenn der Leiharbeitnehmer beim Entleiher - befristet oder unbefristet beschäftigt - Daueraufgaben erfüllt, ohne einen Stammarbeitnehmer abgelöst zu haben.

 

Normenkette

AÜG § 1 Abs. 1 S. 2; BetrVG § 99 Abs. 2 Nr. 1; EGRL 104/2008 Art. 11 Abs. 1 Fassung: 2008-11-19; EG-RL 104/2008 Art. 5 Abs. 5 S. 1 Fassung: 2008-11-19

 

Verfahrensgang

ArbG Neumünster (Entscheidung vom 10.07.2013; Aktenzeichen 3 BV 15 d/13)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Neumünster vom 10.07.2013 - 3 BV 15 d/13 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der Zustimmung des Beteiligten zu 2 zur befristeten Einstellung einer Leiharbeitnehmerin.

Die Beteiligte zu 1 ist ein in N... ansässiges Tochterunternehmen eines weltweit im Bereich der Gesundheitsvorsorge agierenden Konzerns. Sie stellt am Standort chirurgisches Nahtmaterial und Implantate her. Der Beteiligte zu 2 ist der bei ihr gebildete Betriebsrat.

Im Januar 2013 schrieb die Beteiligte zu 1 innerbetrieblich eine befristet ab 01.04.2013 für zwei Jahre zu besetzende Position für die Assistenz im Bereich FOD (Franchise Operations Development) aus. Auf dieser Stelle war die Leiharbeitnehmerin P... bereits seit 01.02.2011 befristet bis zum 31.3.2013 tätig. Es bewarb sich intern lediglich eine Mitarbeiterin, die jedoch letztendlich eine andere unbefristete Position erhielt. Daraufhin entschied sich die Beteiligte zu 1, diesen Beschäftigungsbedarf befristet für zwei Jahre wieder über das Zeitarbeitsunternehmen R... mit Frau P... abzudecken. Sie bat den Betriebsrat mit Anhörungsschreiben vom 18.03.2013 um Erteilung der Zustimmung (Anl. Ast. 1 - Bl. 7 f d. A.). Dieser verweigerte am 21.03.2013 seine Zustimmung, soweit hier noch von Bedeutung gestützt auf § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG sowie § 14 Abs. 3 S. 1 AÜG (Anl. Ast. 1 - Bl. 9 und Anl. Ast. 3 - Bl. 19 d. A.).

Die vorläufige Beschäftigung der betreffenden Leiharbeitnehmerin ab dem 01.04.2013 erfolgt ohne Widerspruch des Betriebsrats.

Grundsätzlich wird im Bereich FOD, in dem 10 Ingenieure und 4 Führungskräfte auf Planstellen arbeiten, eine Assistenzstelle benötigt. Diesen 14 Stammarbeitskräften muss zugearbeitet werden. Planstellen sind bei der Beteiligten zu 1 über den sog. "Headcount" mit dem Konzern abgestimmt. Der amerikanisch geführte Konzern hat eine solche Assistenzplanstelle derzeit nicht genehmigt.

Der Betriebsrat hat im Zusammenhang mit der Zustimmungsverweigerung stets die Ansicht vertreten, die Beteiligte zu 1 decke mit der vorliegenden Einstellung keinen vorübergehenden Bedarf ab, sondern einen klassischen Dauerbedarf auf einem Dauerarbeitsplatz. Sie verstoße damit gegen § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG und Europarecht.

Die Beteiligte zu 1 hat stets die Auffassung vertreten, § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG stelle keine Verbotsnorm im Sinne des § 99 Abs. 2 Ziff. 1 BetrVG dar. Zudem sei eine Besetzung von Dauerarbeitsplätzen mit Leiharbeitnehmern auch nach der ab dem 01.12.2011 geltenden Fassung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG erlaubt. Das Wort "vorübergehend" stelle lediglich klar, dass das deutsche Modell der Arbeitnehmerüberlassung der europarechtlichen Vorgabe entspreche.

Die Beteiligte zu 1 hat beantragt,

die Zustimmung des Beteiligten zu 2 zur befristeten Einstellung der Frau B... P... als Assistentin im Bereich FOD für den befristeten Zeitraum vom 01. April 2013 bis 31. März 2015 zu ersetzen.

Der Beteiligte zu 2 hat beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat den am 10.04.2013 eingegangenen Zustimmungsersetzungsantrag der Beteiligten zu 1 mit Beschluss vom 10.07.2013 abgewiesen. Das ist im Wesentlichen mit der Begründung geschehen, die Besetzung von Dauerarbeitsplätzen mit Leiharbeitnehmern sei gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG unzulässig. Es habe eine arbeitsplatzbezogene Betrachtung zu erfolgen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt des erstinstanzlichen Beschlusses vom 10.07.2013 verwiesen.

Gegen diesen der Beteiligten zu 1 am 29.07.2013 zugestellten Beschluss hat sie am 19.08.2013 Beschwerde eingelegt, die am 29.10.2013 begründet wurde.

Die Beteiligte zu 1 wiederholt und vertieft im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Des Weiteren trägt sie vor, es handele sich bei de...

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