Entscheidungsstichwort (Thema)

Verbot der mehr als vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung. Unbegründeter Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin bei wiederholter sachgrundlos befristeter Einstellung einer Leiharbeitnehmerin auf einer dauerhaft erforderlichen Assistenzstelle

 

Leitsatz (amtlich)

1. Arbeitnehmerüberlassung ist nicht allein deshalb "vorübergehend", weil sie zeitlich befristet erfolgte.

2. Der in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG aufgenommene Begriff "vorübergehend" ist unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass sowohl eine personenbezogene als auch eine aufgabenbezogene Betrachtung zu erfolgen hat.

3. Aufeinanderfolgende zeitlich begrenzte Überlassungen zur Verrichtung der gleichen dauerhaft anfallenden Aufgaben sind jedenfalls dann nicht mehr "vorübergehend", wenn es für die Befristung keinen sachlichen Grund gibt.

 

Normenkette

BetrVG § 99 Abs. 2 Nr. 1; AÜG § 1 Abs. 1 S. 2; RL 2008/104/EG Art. 5; EGRL 104/2008 Art. 5 Abs. 5 S. 1 Fassung: 2008-11-19

 

Verfahrensgang

ArbG Neumünster (Entscheidung vom 06.01.2016; Aktenzeichen BV 39 a/15)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Neumünster vom 06.01.2016 - 3 BV 39 a/15 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der Zustimmung des Beteiligten zu 2 zur erneuten befristeten Einstellung einer Leiharbeitnehmerin.

Die Beteiligte zu 1 ist ein in N... ansässiges Tochterunternehmen eines weltweit im Bereich der Gesundheitsvorsorge agierenden Konzerns. Sie stellt am Standort chirurgisches Nahtmaterial und Implantate her. Der Beteiligte zu 2 ist der bei ihr gebildete Betriebsrat.

Die Arbeitnehmerin P... ist seit Februar 2011 bei der Beteiligten zu 1 als Leiharbeitnehmerin im Bereich FOD (Franchise Operations Development) als Assistentin tätig. Diese Position war vorher mit einem/einer Stammarbeitnehmer/in besetzt. Im Bereich FOD arbeiten 10 Ingenieure und 4 Führungskräfte auf Planstellen. Diesen 14 Stammarbeitskräften muss zugearbeitet werden. Das geschieht über sogenannte Assistenten. Planstellen sind bei der Beteiligten zu 1 über den sog. "Headcount" mit dem Konzern abgestimmt. Der amerikanisch geführte Konzern hat eine solche Assistenzplanstelle derzeit nicht genehmigt.

Die Leiharbeitnehmerin P... arbeitete im Bereich FOD als Assistentin seit dem 01.02.2011 bis heute auf dem gleichen Arbeitsplatz, und zwar vor folgendem Hintergrund: Sie wurde dort zunächst befristet vom 01.02.2011 bis 31.03.2013 eingesetzt. Im Frühjahr 2013 beantragte die Beteiligte zu 1 beim Betriebsrat die Erteilung der Zustimmung zur erneuten befristeten Einstellung vom 01.04.2013 bis 31.03.2015. Der Betriebsrat verweigerte, gestützt auf § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG i. V. m. § 14 Abs. 3 S. 1 AÜG, die Zustimmung. Daraufhin wurde Frau P... gem. § 100 BetrVG vorläufig beschäftigt und das Zustimmungsersetzungsverfahren eingeleitet. Die Beteiligte zu 1 unterlag durch zwei Instanzen mit der Begründung, die Beteiligte zu 1 besetze einen Dauerarbeitsplatz und decke mit der Beschäftigung der Leiharbeitnehmerin einen Dauerbedarf. Das sei nicht mehr vorübergehend im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein ließ mit Beschluss vom 08.01.2014 - 3 TaBV 43/13 - die Rechtsbeschwerde zu. Das Bundesarbeitsgericht traf infolge des Ablaufs des Befristungszeitraums (31.03.2015) keine Entscheidung. Ungeachtet des Zeitablaufs und damit des Fehlens jeglicher Zustimmung des Betriebsrats beschäftigte die Beteiligte zu 1 die Leiharbeitnehmerin über den 31.03.2014 hinaus unverändert auf dem gleichen Arbeitsplatz weiter.

Der Betriebsrat leitete deshalb im September 2015 beim Arbeitsgericht ein Zwangsgeldverfahren nach § 101 BetrVG ein. Am 25.09.2015 beantragte daraufhin die Beteiligte zu 1 beim Betriebsrat die Erteilung der Zustimmung zur Einstellung der Leiharbeitnehmerin P..., unverändert als Assistentin im Bereich FOD, nunmehr für die Zeit vom 28.09.2015 bis zum 27.09.2016. Dieser verweigerte am 01.10.2015 die Zustimmung. Die Beteiligte zu 1 beschäftigte die Leiharbeitnehmerin wieder gem. § 100 BetrVG vorläufig weiter, unterrichtete den Betriebsrat hiervon am 02.10.2015 und leitete, nachdem dieser am 07.10.2015 die Dringlichkeit bestritten hatte, am 09.10.2015 das vorliegende Verfahren auf Ersetzung der Zustimmung und Feststellung der Erforderlichkeit der vorläufigen Beschäftigung ein.

Nach dem Ergebnis der Verhandlung im Beschwerdeverfahren besteht unstreitig auch nach dem 25.09.2016 Bedarf für die Beschäftigung einer Assistentin auf diesem Arbeitsplatz im Bereich FOD.

Der Betriebsrat hat im Zusammenhang mit der Zustimmungsverweigerung stets die Ansicht vertreten, die Beteiligte zu 1 decke mit der vorliegenden Einstellung keinen vorübergehenden Bedarf ab, sondern einen klassischen Dauerbedarf auf einem Dauerarbeitsplatz. Sie verstoße damit gegen § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG und Europarecht.

Die Beteiligte zu 1 hat stets die Auffassung vertreten, § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG stelle keine Verbotsnorm im...

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