Entscheidungsstichwort (Thema)

Begrenzung des im Ermessen der Arbeitgeberin stehenden Teils einer Sonderzahlung auf "Null" bei unberechtigter Vereinnahmung von Werklohnzahlungen zu Lasten der Arbeitgeberin

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Steht dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Sonderzahlung in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern "fest" zu und kann er darüber hinaus die Zahlung einer diesen Betrag übersteigenden Sondergratifikation beanspruchen, deren Höhe von der Arbeitgeberin nach billigem Ermessen zu bestimmen ist, entspricht diese Leistungsbestimmung billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind; maßgeblich ist der Zeitpunkt, in dem die Arbeitgeberin die Ermessensentscheidung zu treffen hat.

2. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Leistungsbestimmung der Billigkeit entspricht, hat die bestimmungsberechtigte Arbeitgeberin zu tragen; der Arbeitgeberin als Inhaberin des Bestimmungsrechts nach § 315 Abs. 1 BGB verbleibt für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum, innerhalb dessen ihr mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

3. Eine Sachentscheidung ist wegen der zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalls vorrangig den Tatsachengerichten vorbehalten.

4. Eine Begrenzung der dem Arbeitnehmer für das gesamte Jahr 2010 zustehende Sondergratifikation auf zwei Bruttomonatsgehälter und damit eine Festsetzung des im Ermessen der Arbeitgeberin stehenden Teils der Gratifikation auf "Null" entspricht im Einzelfall billigem Ermessen, wenn der begünstige Arbeitnehmer als Baubetriebsleiter Werklohn aus einem Bauvorhaben in Höhe von mehr als 13.000 EUR vereinnahmt und nicht an die Arbeitgeberin abgeführt hat; allein aus dem Verweis auf Zeugenaussagen in dem gegen den Arbeitnehmer eingeleiteten Strafverfahren ergibt sich kein entgegenstehender substantiierter Sachvortrag, insbesondere wenn der Inhalt einzelner Zeugenaussagen nicht dargelegt wird.

 

Normenkette

BGB §§ 611, 315 Abs. 1, § 611 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Dessau (Entscheidung vom 23.02.2012; Aktenzeichen 9 Ca 256/10)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau vom 23.02.2012 - 9 Ca 256/10 - soweit darin die Klage hinsichtlich einer Sondergratifikation für das Jahr 2010 in Höhe von 12.500,- EUR nebst Zinsen abgewiesen worden ist und hinsichtlich der Kostenentscheidung teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger als Sondergratifikation für das Jahr 2010 9.392,48 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.01.2011 zu zahlen.

Im Übrigen wird die auf Zahlung der Sondergratifikation 2010 gerichtete Klage abgewiesen.

Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt der Kläger 90%, die Beklagte trägt 10%.

Der Kläger trägt weiter 85% der im Berufungsverfahren angefallenen Kosten. Die Beklagte trägt hiervon 15%.

Die Kosten des Revisionsverfahrens 10 AZR 266/14 werden dem Kläger zu 25% und der Beklagten zu 75% auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten noch - nach vorangegangenem Revisionsverfahren bei dem Bundesarbeitsgericht (10 AZR 266/14) - über Ansprüche des Klägers auf Zahlung einer Sondergratifikation.

Der Kläger war seit 01.05.1992 bei der Beklagten in deren Niederlassung S als Bauleiter - so der Kläger - bzw. - so die Beklagte - als Betriebsleiter tätig. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund außerordentlicher Kündigung der Beklagten vom 19.11.2010 an jenem Tag. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag existierte zwischen den Parteien nicht.

Die Beklagte gewährte dem Kläger beginnend im Jahr 2002 neben einer "festen" monatlichen Vergütung jährliche "Sonderzahlungen", die sich wie folgt darstellten:

Jahr

Sonderzahlung

monatliches Bruttoentgelt

2002

8.045,56 EUR

4.015,00 EUR

2003

10.000,00 EUR

4.400,00 EUR

2004

10.000,00 EUR

4.500,00 EUR

2005

10.000,00 EUR

4.700,00 EUR

2006

10.000,00 EUR

4.700,00 EUR

2007

10.000,00 EUR

4.800,00 EUR

2008

12.500,00 EUR

5.200,00 EUR

2009

12.500,00 EUR

5.300,00 EUR.

In den Jahren 2002 - 2005 rechnete die Beklagte die Sonderzahlung mit der Monatsvergütung für November jeweils am 10. Dezember ab. Seit dem Jahr 2006 erfolgte die Zahlung der Sondergratifikation mit der Dezembervergütung, die - betriebsüblich - am 10. des Folgemonats zur Auszahlung gelangte.

Für das Jahr 2010 gewährte die Beklagte dem Kläger keine, auch keine anteilige Sonderzahlung.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe auch für das Jahr 2010 eine Sonderzahlung in Höhe von 12.500,00 EUR brutto zu. Dieser Anspruch beruhe auf einer zwischen den Parteien konkludent getroffenen Vergütungsabrede.

Der Kläger hat hierzu beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine jährliche Sondergratifikation in Höhe von 12.500,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.01.2011 zu zahlen...

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