Entscheidungsstichwort (Thema)

Dreistufige Prüfung der Rechtmäßigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung. Kein Abwarten der EFZG-Sechswochenfrist vor Ausspruch der Kündigung erforderlich. BeM kein milderes Mittel im Sinne der Verhältnismäßigkeit. Pauschale Angaben wie hohe Fehlzeiten gegenüber dem Betriebsrat als unzureichender Grund

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine krankheitsbedingte Kündigung setzt voraus, dass aufgrund der bisherigen Fehlzeiten eine negative Gesundheitsprognose zu stellen ist, die Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen und die Interessen des Arbeitgebers im Rahmen der Abwägung höherwertiger sind.

2. Einundzwanzig Monate Fehlzeit und eine negative Prognose stellen eine erhebliche Beeinträchtigung dar.

3. Für die Gesundheitsprognose ist ein Referenzzeitraum von drei Jahren zugrunde zu legen.

 

Normenkette

KSchG § 1; BGB § 626; BetrVG § 102 Abs. 1; SGB IX § 84 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 25.03.2019; Aktenzeichen 8 Ca 438/18)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 25.03.2019 - 8 Ca 438/18 - aufgehoben.
  2. Die Kündigungsschutzklage des Klägers wird abgewiesen.
  3. Die Beklagte wird verurteilt, 7.673,82 € brutto an den Kläger zu zahlen (Urlaubsabgeltung); der insoweit weitergehende Antrag des Klägers wird zurückgewiesen.
  4. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein qualifiziertes und wohlwollendes Arbeitszeugnis zu erteilen.
  5. Die Kosten beider Rechtszüge werden gegeneinander aufgehoben.
  6. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer außerordentlichen, krankheitsbedingten Kündigung mit Auslauffrist sein Ende gefunden hat, oder aber nicht.

Der 52jährige, ledige und keinen Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist bei den US-Stationierungsstreitkräften seit dem 15.10.2002 beschäftigt, zuletzt als Angestellter (Materialverwaltung) zu einem Bruttomonatsentgelt von 2.856,95 Euro. Der Kläger ist mit einem GdB von 30 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

In den Jahren 2013 bis 2018 war der Kläger wie folgt arbeitsunfähig erkrankt:

Kalenderjahr

Fehltage (Kalendertage)

Davon unbezahlt

2013

39

0

2014

33

0

2015

231

165

2016

331

330

2017

265

223

2018

(bis 27.02.2018)

59

59

Seit dem 11.04.2017 ist der Kläger ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt.

Eine Untersuchung des Klägers durch den B.-GmbH, Standort B-Stadt, führte zu folgendem Ergebnis (s. Bl. 85, 86 d. A.):

"Herr A. stellte sich vereinbarungsgemäß am 05.07.2017 im B.-GmbH Zentrum B-Stadt für eine "Fit for Duty" Untersuchung vor.

Nach ausführlichem Anamnesegespräch mit dem Patienten sowie Einsicht in die mir vom Patienten freundlicherweise zur Verfügung gestellten Unterlagen sowie den von Ihnen gesendeten Unterlagen möchte ich Ihre Anfrage vom 20.06.2017 wie folgt beantworten:

1. Herr A. kann seine Tätigkeit als Lagerverwalter nicht mehr voll umfänglich ausüben.

2. Es liegt folgende Einschränkung vor: Er darf berufsbedingt keine Abgasbelastungen durch Benzin- und/oder Diesel angetriebenen Fahrzeugen oder Flugzeugen ausgesetzt werden.

3. Herr A. kann die Tätigkeit als Lagerverwalter weiterhin ausüben, wenn die o. g. Einschränkung eingehalten wird.

Alle anderen in ihrer Tätigkeitsbeschreibung genannten Angaben wie Tragen von PSA, Nutzung von mechanischen und hydraulischen Hebevorrichtungen, Nutzung von Leitern und Treppen, Bedienung von Flurförderfahrzeugen, Bedienen von Messer, Hammer, Schere, Schraubenzieher, Bedienen von Hebe- und Tragehilfen, Heben und Tragen von Boxen bis zu 20 kg, Schieben von beweglichen Gegenständen, wie beispielsweise Gitterboxen, Tätigkeiten im Stehen, Gehen, Bücken und Hocken im Außenbereich sowie kurzfristige Tätigkeiten in Zwangshaltungen und das Auf- und Absteigen von acht Stufen können von Herrn A. im Rahmen der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit ausgeübt werden.

Unter der Voraussetzung, dass berufsbedingte Abgasbelastungen (auch wenn die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden) von Diesel- und Benzin angetriebenen Fahrzeugen und/oder Flugzeugen beruflich vermieden wird, kann Herr A. seine arbeitsvertraglich vereinbarte Leistung erbringen."

Hinsichtlich des weiteren Inhalts der Darstellung dieses Untersuchungsergebnisses wird auf Bl. 85, 86 d. A. Bezug genommen.

Ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) fand nicht statt; die Gründe dafür werden von beiden Parteien unterschiedlich dargestellt.

Mit Schreiben vom 05.03.2018 wurde das zuständige Integrationsamt um Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist gebeten, die mit Bescheid vom 26. März 2018 erteilt wurde, hinsichtlich dessen weiteren Inhalts auf Bl. 94 d. A. Bezug genommen wird, erteilt wurde.

Mit Schreiben vom 05.03.2018 wurde die Betriebsvertretung zur außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist angehört (Bl. 95 ff. d. A.), wobei dort die 59 Krankheitstage aus 2018 als "bezahl...

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