Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit einer krankheitsbedingten ordentlichen Kündigung. Anforderungen an die Unterrichtung des Betriebsrats

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine krankheitsbedingte Kündigung ist sozial gerechtfertigt, wenn davon auszugehen ist, dass bei dem Arbeitnehmer auch in Zukunft jährlich erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten anfallen werden, die über 30 Arbeitstage pro Jahr hinaus gehen, und dies auch zu erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen führen wird (z.B. Lohnfortzahlung, Vorhalten einer Personalreserve).

2. Eine Kündigung kann nicht allein deshalb wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip als sozial ungerechtfertigt qualifiziert werden, weil das betriebliche Eingliederungsmanagement nicht durchgeführt wurde. Es müssen vielmehr auch bei gehöriger Durchführung des BEM überhaupt Möglichkeiten einer alternativen (Weiter-)Beschädigung bestanden haben, die eine Kündigung vermieden hätten. Folglich steht ein unterlassenes BEM einer Kündigung dann nicht entgegen, wenn sie auch durch das BEM nicht hätte verhindert werden können.

3. Zwar hat der Arbeitnehmer bei einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen dem Betriebsrat regelmäßig die einzelnen Ausfallzeiten der letzten Jahre mitzuteilen, auf die er die Prognose stützt, es sei auch in Zukunft mit Krankheitszeiten in demselben Umfang zu rechnen. Das gilt jedoch nicht, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Arbeitsverhältnisses fortlaufend jedes Jahr überdurchschnittliche Krankheitszeiten aufzuweisen hatte und hohe Lohn-/Entgeltfortzahlungskosten verursacht hat. In einem solchen Fall kann es ausreichen, dass der Arbeitgeber lediglich nach Jahren gestaffelt die überdurchschnittliche Krankheitshäufigkeit darlegt und die Entgeltfortzahlungskosten der letzten Jahre in einem Gesamtbetrag mitteilt.

 

Normenkette

KSchG § 1; SGB IX § 84 Abs. 2; BetrVG § 102; KSchG § 1 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 24.01.2017; Aktenzeichen 8 Ca 4150/15)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 24.01.2017 - 8 Ca 4150/15 - aufgehoben.
  2. Die Klage wird abgewiesen.
  3. Der Kläger hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.
  4. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer ordentlichen krankheitsbedingten Arbeitgeberkündigung sein Ende gefunden hat, oder aber nicht.

Der 1985 geborene, verheiratete und bei Klageerhebung einem Kind gegenüber zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist bei der Beklagten seit 2007 zunächst befristet, ab 2009 unbefristet in Vollzeit als Gebäudereiniger beschäftigt. Zwischen den Parteien besteht ein schriftlicher Arbeitsvertrag, hinsichtlich dessen Inhalts auf Bl. 10 ff. d.A. Bezug genommen wird.. Der Kläger erzielt ein durchschnittliches Bruttomonatseinkommen in Höhe von ca. 2.600,00 EUR. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer. Im Betrieb der Beklagten ist ein Betriebsrat eingerichtet.

Mit Schreiben vom 23.11.2015 hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ordentlich fristgerecht zum 29.02.2016 krankheitsbedingt gekündigt. Hinsichtlich des Inhalts des Kündigungsschreibens wird auf Bl. 8 d. A. Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 06.11.2015 hatte die Beklagte zuvor den Betriebsrat zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers angehört. Sie hat dabei die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers wie folgt mitgeteilt:

Der Kläger ist im Verlauf des Arbeitsverhältnisses wie folgt erkrankt:

Kalendertage

Arbeitstage

Jahr 2007

0

0

Jahr 2008

9

9

Jahr 2009

13

13

Jahr 2010

21

17

Jahr 2011

46

37

Jahr 2012

114

84

Jahr 2013

35

28

Jahr 2014

52

45

Jahr 2015 (Stand 06.11.15)

63

52

bisher insgesamt

353

285

Seit dem 12.10.2015 ist der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.

Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Anhörungsschreibens an den Betriebsrat wird auf Bl. 29 - 31 d. A. nebst Anlagen (Bl. 32 - 34 d. A.) Bezug genommen.

Nach dem Vorbringen des Klägers, dass die Beklagte nicht bestritten hat, handelt es sich im Einzelnen um folgende Erkrankungen ab dem Jahr 2011:

17.01.2011 bis 19.01.2011

Bakterielle Darminfektion

03.02.2011 bis 12.02.2011

Akute Infektion der oberen Atemwege

22.02.2011 bis 07.03.2011

Offene Wunde eines oder mehrerer Finger ohne Schädigung des Nagels

14.06.2011 bis 17.06.2011

Bakterielle Darminfektion

15.08.2011 bis 19.08.2011

Bakterielle Darminfektion

26.09.2011 bis 26.09.2011

Aktuelle Infektion der oberen Atemwege

29.09.2011 bis 30.09.2011

Sonstige Krankheiten der Zähne und des Zahnhalteapparates

09.11.2011 bis 16.11.2011

Bakterielle Darminfektion

12.12.2011 bis 12.12.2011

Aktuelle Infektion der oberen Atemwege

27.01.2012 bis 04.02.2012

Akute Bronchitis

Nichtinfektiöse Gastroenteritis und Kolitis

Akute Infektion der oberen Atemwege

09.03.2012 bis 14.03.2012

Akute Infektion der oberen Atemwege

13.04.2012 bis 13.04.2012

Prellung des Ellenbogens

18.06.2012 bis 23.06.2012

Sonstige und nicht näher bezeichnet...

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