Entscheidungsstichwort (Thema)

Zweitstufige Prüfung des § 626 Abs. 1 BGB. Abmahnung bei steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers. Durchführung BEM-Verfahren keine Kündigungsvoraussetzung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Mehrfache Verletzungen der Pflicht zur Anzeige und zum Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit stellen eine beharrliche und zur Kündigung berechtigende Pflichtverletzung dar.

2. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat im Rahmen der Anhörung nur die aus seiner Sicht relevanten Umstände mitteilen, nicht aber die vom Arbeitnehmer behaupteten psychischen Probleme.

 

Normenkette

BGB § 626; EFZG §§ 3 ff.; BetrVG § 102; SGB IX § 167 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 09.12.2019; Aktenzeichen 2 Ca 938/19)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 09.12.2019 - Az.: 2 Ca 938/19 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer außerordentlichen Kündigung, hilfsweise einer ordentlichen Kündigung, der Beklagten sein Ende gefunden hat, oder aber nicht, sowie des Weiteren darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen sowie die dem Kläger erteilten Abmahnungen (erste und zweite Abmahnung) zurückzunehmen und aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

Der 36-jährige ledige Kläger ist seit dem 01.08.2011 als Chemikant bei der Beklagten gegen eine monatliche Bruttovergütung von 4.400,00 Euro beschäftigt. Aufgrund seiner bei der Beklagten absolvierten Ausbildung und einer zwischenzeitlichen Beschäftigung bei einer Tochtergesellschaft der Beklagten hat er gem. Betriebsvereinbarung 11 ("Dienstzeitanrechnung") eine anrechenbare Beschäftigungszeit seit dem 10.06.2005. Bei der Beklagten arbeiten mehr als zehn Arbeitnehmer, ausschließlich der Auszubildenden. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der MTV Chemie Anwendung.

Gegen den Kläger wurde durch die Kommission O am 18.10.2017 eine Geldbuße in Höhe von 40,00 Euro verhängt, da ein am 03.08.2017 durchgeführter Drogentest eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit des Klägers ergab. Er hatte zuvor eine mehrtägige Fortbildung absolviert und am letzten Abend Alkohol in einer Menge konsumiert, dass er einen Filmriss erlitt.

Der Kläger nimmt an einer Ausbildungsmaßnahme zum Industriemeister der Chemie (IHK) teil. Im Februar 2018 fiel der Beklagten bei einer Überprüfung der Klassenbücher auf, dass der Kläger im Zeitraum seit 2017 an insgesamt 33 Tagen dem Unterricht unentschuldigt ferngeblieben war. Die damit am 12.04.2018 befasste Kommission O entschied, den Kläger finanziell zu sanktionieren durch Streichung einer Zusatzleistung und sprach eine Entlassungsandrohung aus.

Sowohl im Februar 2018 als im Januar 2019 wurde der Kläger ausdrücklich verpflichtet, ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Im März 2018 war der Kläger wegen einer Handerkrankung einige Tage im städtischen Klinikum. Am 01.07.2018 brach der Kläger krankheitsbedingt seine Arbeit ab. Er teilte seinem Schichtführer am 02.07.2018 um 14:07 Uhr per WhatsApp mit, dass er nicht zur Arbeit in der Nachtschicht kommen könne, der C.-Arzt sei nicht da und bei der anderen Ärztin bestehe eine Wartezeit von drei Stunden bzw. sei er aufgefordert worden, am nächsten Tag zu kommen. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum 03.07.2018 bis 09.07.2018 ging erst 09.07.2018 bei der Beklagten ein. Nachdem der Kläger angekündigt hatte, am 17.07.2018 wieder zur Arbeit zu erscheinen, meldete er sich an diesem Tag erst sechs Stunden nach dem eigentlichen Arbeitsbeginn und teilte mit, dass er erst am 22.07.2018 wieder zur Arbeit kommen werde. Wegen beider Verstöße wurde dem Kläger eine Geldbuße von jeweils 50,00 Euro auferlegt.

Der Kläger litt seit Sommer 2018 an einem sichtbaren Hautausschlag. Ab dem 07.11.2018 fehlte der Kläger krankheitsbedingt. Er legte erst am 13.11.2018 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, die am 09.11.2018 ausgestellt wurde, und zwar rückwirkend für den Zeitraum ab dem 07.11.2018. Deshalb wurde der Kläger mit Schreiben vom 11.01.2019 abgemahnt. Auch für den weiteren Arbeitsunfähigkeitszeitraum 13. bis 16.12.2018 suchte der Kläger erst am 14.12.2018 den Arzt auf. Er wurde daraufhin mit Schreiben vom 14.01.2019 abgemahnt. Beide Abmahnungen enthalten den inhaltlich unrichtigen Hinweis, dass gegen den Kläger bereits eine Geldbuße von 75,00 Euro (Folgeverstoß) verhängt worden sei. Tatsächlich wurde aber nur eine Geldbuße in Höhe von jeweils 50,00 Euro verhängt.

Der Kläger hatte Ende 2018 sowie Anfang Januar 2019 jeweils einen Antrag auf Teilzeitbeschäftigung (85 %) gestellt. Beide Anträge wurden von der Beklagten abgelehnt.

Im Mai 2019 war der Kläger erneut arbeitsunfähig krank. Am 05.05.2019 sowie am 06.05.2019 fehlte der Kläger ohne ärztliche A...

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