Entscheidungsstichwort (Thema)

Erschütterung der Beweiskraft einer Postzustellungsurkunde. Ersatzzustellung durch Einwurf in den Briefkasten. Wiedereinsetzung bei versäumter Einspruchsfrist

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Beweiskraft einer Postzustellungsurkunde wird nicht durch die Behauptung erschüttert, das Schriftstück sei nicht eingegangen; es ist der Vollbeweis für einen anderen Geschehensablauf zu erbringen.

2. Wegen Versäumnis der Einspruchsfrist erfolgt keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

3. Die Unrichtigkeit des Vollstreckungstitels kann gemäß § 826 BGB geltend gemacht werden.

 

Normenkette

ArbGG § 59 S. 1, § 9 Abs. 5 S. 4; BGB § 826; ZPO § 172 Abs. 1 S. 1, § 182 Abs. 1, §§ 233, 253 Abs. 2 Nr. 2, §§ 338, 418 Abs. 1, § 690 Abs. 1 Nr. 3, § 700 Abs. 1, § 767 Abs. 1, § 796 Abs. 2, § 180 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Trier (Entscheidung vom 29.07.2020; Aktenzeichen 4 Ca 1312/19)

ArbG Trier (Entscheidung vom 31.01.2019)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 29. Juli 2020 - Az.: 4 Ca 1312/19 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

  • II.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit eines und die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid im Zusammenhang mit einem von der Klägerin behaupteten Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte.

Die Beklagte war bei der Klägerin, einem amtlich anerkannten Träger von Begutachtungsstellen für Fahreignung, seit 15. Januar 2015 als Bürokraft mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden beschäftigt. Zu den Aufgaben der Beklagten zählten ua. die Organisation der Begutachtungen von medizinisch-psychologischen Untersuchungen (MPU), sowie das Durchführen von Screenings. Hierbei hatte die Beklagte als einzige Kassenverantwortliche ab Februar 2015 die Gebühren für Begutachtungen und Screenings zu kassieren und diese wöchentlich auf ein Firmenkonto der Klägerin einzuzahlen.

Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis am 04. Juni 2015 außerordentlich fristlos und warf der Beklagten die Veruntreuung von Geldbeträgen vor. Die Parteien haben wegen der Kündigung unter umgekehrtem Rubrum vor dem Arbeitsgericht Trier (- AZ. 0000/00 -) einen Kündigungsschutzprozess geführt. Gegen die Beklagte wurde ein Strafverfahren - Amtsgericht Trier Az. AZ. 00000000000/00 - wegen Unterschlagung eingeleitet, in dem die Klägerin einen auf Zahlung von 17.908,47 EUR gerichteten Adhäsionsantrag wegen veruntreuter Gelder anhängig gemacht hat. Sowohl im amtsgerichtlichen Adhäsionsverfahren als auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren wurde die Beklagte durch ihre nunmehrige Prozessbevollmächtigte anwaltlich vertreten. Mit Beschluss vom 12. Juli 2018 hat das Amtsgericht von der Entscheidung über den Antrag der Adhäsionsklägerin abgesehen und zur Begründung angeführt, der Antrag sei unzulässig, da der geltend gemachte Anspruch aus einem Arbeitsverhältnis herrühre und daher nicht in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gehöre. Wegen der weiteren Begründung wird auf Bl. 26 ff. d. A. verwiesen. Mit zwischenzeitlich rechtskräftigem Urteil vom 28. September 2018 wurde die Beklagte aus tatsächlichen Gründen vom Vorwurf der Unterschlagung freigesprochen, da nach ausführlicher Beweisaufnahme ein Tatnachweis nicht mit der für eine Verurteilung notwendigen Sicherheit habe geführt werden können. Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf Bl. 145 d. A. Bezug genommen.

Mit am 27. Dezember 2018 beim Arbeitsgericht Trier eingegangenem Antrag vom 23. Dezember 2018 hat die Klägerin beim Arbeitsgericht einen Mahnbescheid gegen die Beklagte über 31.411,00 Euro beantragt. Im hierfür formularmäßig vorgesehenen Feld zur Bezeichnung des geltend gemachten Anspruchs hat die Klägerin eingetragen:

"Herausgabeanspruch (von 31.411 EUR) aus Entgegennahme von Bargeldern von Kunden der Begutachtungsstelle für Fahreignung der A. im Zeitraum 15.01.2015 bis 03.06.2015 (teilweise auch ausgeführt im KSch-Prozess ArbG Trier AZ. 0000/00); hilfsweise abgetretenes Recht des Dr. Z. Y. an Antragstellerin".

Nachdem die Zustellung des antragsgemäß am 28. Dezember 2018 erlassenen Mahnbescheids an die im Antrag angegebene Adresse der Beklagten "X.-Straße, X.-Stadt" erfolglos geblieben war, teilte die Klägerin dem Arbeitsgericht auf Aufforderung die aktuelle Anschrift der Beklagten (C.-Straße, C-Stadt) mit. Ausweislich der Eintragungen in der Postzustellungsurkunde hat der Postbedienstete W. am 19. Januar 2019 erfolglos versucht, den Mahnbescheid unter der angegebenen Anschrift zuzustellen und, weil die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung nicht möglich war, das Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung eingelegt (Bl. 7 R d. A.). Ob dies zutreffend ist und die Beklagte den Mahnbescheid erhalten hat, ist zwischen den Parteien streitig.

Am 31. Januar 2019 hat das Arbeitsgericht einen Vollstreckungsbescheid (Bl. 9 d. A.) erlassen. Der hierbei verwendete Vordruck für den Mahn- und Vollstreckungsbe...

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