Entscheidungsstichwort (Thema)

Anzeigepflicht bei Krankheit. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Berufsausbildung. Beweiskraft. Fehlen, unentschuldigtes. Kündigung, fristlose. Nachschieben von Kündigungsgründen. fristlose Kündigung Berufsausbildungsvertrag wegen unentschuldigtem Fehlen, Verletzung der Anzeigepflicht bei Krankheit, Nachschieben von Kündigungsgründen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Legt der Arbeitnehmer bzw. Auszubildende eine ordnungsgemäß ausgestellte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, so begründet diese regelmäßig den Beweis für die Tatsache einer Arbeitsunfähigkeit. Ein solches Attest hat einen hohen Beweiswert, es ist der gesetzlich vorgesehene und wichtigste Beweis für die Tatsache der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit.

2. Zweifelt der Arbeitgeber die ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit an und beruft er sich insbesondere darauf, der Arbeitnehmer habe den die Bescheinigung ausstellenden Arzt durch Simulation getäuscht oder der Arzt habe den Begriff der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit verkannt, dann muss der Arbeitgeber die Umstände, die gegen die Arbeitsunfähigkeit sprechen, näher darlegen und notfalls beweisen, um die Beweiskraft des Attests zu erschüttern.

 

Normenkette

BBiG § 22 Abs. 4, 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Urteil vom 06.10.2006; Aktenzeichen 2 Ca 218/06)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 06.10.2006, Az.: 2 Ca 218/06, teilweise abgeändert und Ziffer III des Tenors wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger

  1. EUR 265,56 brutto, abzüglich bereits gezahlter EUR 181,93 netto, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2006,
  2. EUR 647,64 brutto, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2006,
  3. EUR 664,00 brutto, abzüglich gezahlter EUR 310,39 ALG II, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2006,
  4. EUR 664,00 brutto, abzüglich gewährter EUR 328,28 ALG I und abzüglich gewährter EUR 236,98 ALG II, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2006

    zu zahlen.

  5. Im Übrigen wird die Zahlungsklage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 1/5 und der Beklagte 4/5 zu tragen.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses vom 07.01.2006 und damit im Zusammenhang stehende Vergütungsansprüche des Klägers.

Der Kläger (geb. am 06.10.1983) schloss mit dem Beklagten am 08.06.2004 einen Berufsausbildungsvertrag. Danach sollte er in der Zeit vom 01.08.2004 bis zum 31.07.2006 – nach einer vorhergehenden Ausbildung seit dem 01.08.2002 bei einer anderen Versicherung – im zweiten Ausbildungsjahr beginnend weiter zum Versicherungskaufmann ausgebildet werden. Zuvor hat der Kläger bei dem Beklagten seit dem 06.01.2004 auf der Grundlage eines dreiseitigen Vertrages mit einer Gesellschaft für berufsbezogene Qualifizierung und Arbeitsmarktförderung ein Praktikum absolviert. Die Ausbildungsvergütung betrug im dritten Ausbildungsjahr EUR 664,00 brutto.

Mit Schreiben vom 29.10.2004 (Bl. 22-23 d. A.) mahnte der Beklagte den Kläger wegen „anhaltender Unpünktlichkeit” ab und verlängerte die Probezeit. Am 17.11.2004 erteilte er eine zweite Abmahnung (Bl. 24 d. A.) wegen Verspätungen. Am 18.11.2004 erfolgte eine dritte Abmahnung wegen unentschuldigten Fehlens (Bl. 25 d. A.). Mit Datum vom 19.11.2004 (Bl. 26 d. A.) erklärte der Beklagte eine vierte Abmahnung, weil der Kläger mangels Teilnahme vom Förderunterricht „ausbildungsbegleitende Hilfen” abgemeldet worden war. Mit Schreiben vom 24.11.2004 (Bl. 27-28 d. A.) kündigte der Beklagte das Ausbildungsverhältnis wegen Ankündigung einer Erkrankung, Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Anzeige- und Nachweispflicht sowie unentschuldigten Fernbleibens vom Berufsschulunterricht fristlos zum 30.11.2004. Die Parteien setzten das Ausbildungsverhältnis jedoch ab dem 01.01.2005 fort. Am 05.07.2005 (Bl. 29 d. A.) erteilte der Beklagte dem Kläger eine fünfte Abmahnung wegen Unpünktlichkeit.

Der Kläger war wegen einer Operation am Kniegelenk seit dem 02.12.2005 arbeitsunfähig erkrankt. Die behandelnden Ärzte hatten zunächst eine Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich Freitag, den 06.01.2006 attestiert. Am Samstag, den 07.01.2006 hätte der Kläger von 10.00 Uhr bis 13.00 Uhr arbeiten müssen. Er erschien nicht. Ob er dem Beklagten sein Fernbleiben angezeigt hat, ist zwischen den Parteien streitig.

Mit Schreiben vom 07.01.2006 (Bl. 3 d. Akte) kündigte der Beklagte das Ausbildungsverhältnis fristlos. Zur Begründung führte er – wörtlich – aus:

„Unentschuldigtes fernbleiben vom Arbeitsplatz am heutigen Tage.

Zuvor bereits fünf Abmahnungen.

Diverse unentschuldigte Meldungen der Berufsschule Koblenz.”

Am Montag, den 09.01.2006 besuchte der Kläger die...

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