Entscheidungsstichwort (Thema)

Überraschende Vertragsklausel i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB. Vertragsstrafenklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Unangemessene Benachteiligung durch die Höhe einer Vertragsstrafe. Der Grundsatz von Treu und Glauben im Vertragsrecht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat überraschenden Charakter i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB, wenn sie von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und dieser mit ihr den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Überraschenden Klauseln muss ein "Überrumpelungs- und Übertölpelungseffekt" innewohnen.

2. Die Vereinbarung von Vertragsstrafen ist im Arbeitsleben als Gestaltungsinstrument so verbreitet, dass ihre Aufnahme in Formularverträge regelmäßig nicht überraschend ist. Setzt die Vertragsstrafe u.a. eine vertragswidrige Beendigung durch den Arbeitnehmer voraus, befindet sich die Regelung damit thematisch in dem Zusammenhang, in dem sie typischerweise zu vermuten ist.

3. Das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verpflichtet den Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen, die Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar, verständlich und durchschaubar darzustellen. Das Transparenzgebot schließt das Bestimmtheitsgebot ein. Danach müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschrieben werden, dass für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen.

4. Eine unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB kann aus der Höhe der Vertragsstrafe folgen. Bestimmt aber die Klausel, dass die Vertragsstrafe proportional nach dem Arbeitsentgelt zu berechnen ist, das dem Arbeitnehmer bei Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zugestanden hätte, und ist eine Obergrenze von maximal einem Bruttomonatsentgelt vorgesehen, liegt keine unzulässige Übersicherung des Arbeitgebers vor.

5. Das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung. Treuwidriges Verhalten eines Vertragspartners kann dazu führen, dass ihm die Ausübung eines ihm zustehenden Rechts zu versagen ist, wenn er sich dieses Recht gerade durch das treuwidrige Verhalten verschafft hat.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 305c Abs. 1, § 307 Abs. 2 Nr. 1, §§ 389, 611a, 623; EFZG § 3; BGB § 307 Abs. 1 S. 2; ZPO § 850c ff.; BGB §§ 140, 622 Abs. 6; MTV Kfz-Gewerbe RP § 18 Nr. 4b

 

Verfahrensgang

ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 06.04.2022; Aktenzeichen 1 Ca 314/21)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen - 1 Ca 314/21 - vom 06. April 2022 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

  • II.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten zuletzt noch über einen Anspruch der Beklagten auf Zahlung einer Vertragsstrafe, den diese teilweise im Wege der Aufrechnung gegen einen Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall, teilweise im Wege der Widerklage verfolgt.

Der ledige Kläger, den keine Unterhaltspflichten treffen, war ab 28. Juni 2013 bei der Beklagten als Kfz-Mechatroniker bei einer durchschnittlichen Bruttomonatsvergütung von 3.206,00 EUR beschäftigt. Die Parteien schlossen einen schriftlichen, zunächst bis 27. Juni 2014 befristeten Arbeitsvertrag vom 28. Juni 2013 (Bl. 15 ff. d. A.; im Folgenden: AV), nach dessen § 1 Ziffer 2 die Parteien die Geltung der jeweils gültigen Tarifverträge des Kraftfahrzeuggewerbes der Pfalz vereinbarten. §§ 11, 12 AV lauten auszugsweise:

"§ 11 Beendigung des Arbeitsverhältnisses/Kündigung

1. Das Arbeitsverhältnis kann beiderseits im Rahmen der tariflichen Kündigungsfristen ordentlich gekündigt werden. Soweit dem Arbeitnehmer nur mit einer längeren Frist gekündigt werden darf, gilt diese längere Kündigungsfrist auch für eine Kündigung seitens des Arbeitnehmers.

2. ...

8. Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind beiderseits innerhalb von 3 Monaten nach Fälligkeit, im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses spätestens innerhalb von 3 Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen.

§ 12 Vertragsstrafe

Tritt der Mitarbeiter das Arbeitsverhältnis schuldhaft nicht oder nicht rechtzeitig an, scheidet er unter Vertragsbruch, insbesondere bei Nichteinhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist, aus dem Arbeitsverhältnis aus, verweigert er unberechtigt vorübergehend oder dauerhaft die Arbeit, verstößt er gegen das Wettbewerbsverbot während des Arbeitsverhältnisses oder gibt er unsere Kundendaten unberechtigt an Konkurrenzunternehmen weiter, so hat der Mitarbeiter an den Arbeitgeber eine Vertragsstrafe zu zahlen.

Die Höhe der Vertragsstrafe entspricht dem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt, welches dem Arbeitnehmer bei Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zugestanden hätte, maximal 1 Bruttomonatsentgelt.

Weitere Ansprüche bleiben vorbehalten."

Nach Ablauf der vereinbarten Befristung verrichtete der Kläger seine Tätigkeit unverändert weiter. Ein neuer schriftliche...

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