Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame außerordentliche Kündigung eines schwerbehinderten Straßenwärters bei verspäteter Kündigungserklärung nach Zustimmung des Integrationsamtes

 

Leitsatz (amtlich)

§ 91 Abs. 5 SGB IX verlangt ein unverzügliches Tätigwerden. Dann muss ein geordneter Geschäftsgang in einem Landesbetrieb auch vorsehen, dass ein Schriftstück nicht im normalen Postlauf per Hausboten mehrere Arbeitstage in einem Verwaltungsgebäude herumgetragen, sondern von Hand zu Hand an den zuständigen Sachbearbeiter weitergeleitet wird.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1-2; SGB IX § 91 Abs. 5; TV-L § 34 Abs. 2; BGB § 121 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 18.04.2013; Aktenzeichen 6 Ca 1046/12)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 18. April 2013, Az. 6 Ca 1046/12, abgeändert und

    festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des beklagten Landes vom 07.11.2012 weder außerordentlich fristlos noch außerordentlich unter Beachtung einer sozialen Auslauffrist zum 30.06.2013 aufgelöst worden ist,

    das beklagte Land wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen des Arbeitsvertrags als Straßenwärter bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits weiterzubeschäftigen.

  • II.

    Das beklagte Land hat die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz zu tragen.

  • III.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer vom beklagten Land ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung und die Weiterbeschäftigung.

Der 1963 geborene, ledige Kläger ist seit August 1982 beim beklagten Land beschäftigt. Er wurde zum Straßenwärter ausgebildet und nach Abschluss seiner Berufsausbildung im Juli 1985 ununterbrochen als Straßenwärter im nicht rechtsfähigen C. (LBM) beschäftigt. Der LBM beschäftigt an mehreren Standorten in Rheinland-Pfalz ca. 4.000 Arbeitnehmer. Die Personalsachbearbeitung erfolgt in der Zentrale in C-Stadt.

Der Kläger hat gemäß Bescheid vom 27.05.2011 einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 und ist seit 30.08.2011 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung. Nach § 34 Abs. 2 TV-L ist der Kläger ordentlich unkündbar. Er wird nach Entgeltgruppe E 5 TV-L vergütet (ca. € 2.600,00 brutto).

Das beklagte Land hatte dem Kläger erstmals am 07.11.2008 mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2009 aus krankheitsbedingten Gründen außerordentlich gekündigt. Das Arbeitsgericht (Az. 11 Ca 1484/08) hat der Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 07.05.2009 stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Landes mit rechtskräftigem Urteil vom 25.05.2011 (LAG Rheinland-Pfalz - 7 Sa 506/09 - [...]) nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zurückgewiesen. Weil der LBM den Kläger nach Ablauf der Auslauffrist ab 01.07.2009 nicht beschäftigen wollte, machte er seine tatsächliche Weiterbeschäftigung als Straßenwärter gerichtlich geltend. Das Arbeitsgericht hat diese Klage mit rechtskräftigem Urteil vom 18.05.2010 (Az. 6 Ca 1422/09) abgewiesen. Nach seinem Obsiegen vor dem Landesarbeitsgericht beschäftigte der LBM den Kläger seit 01.06.2011 in der Master-Straßenmeisterei (MSM) K. weiter.

Am 12.10.2012, einem Freitag, wurde der Kläger von einem Vorarbeiter auf dem Gelände des Bauhofs der MSM dabei entdeckt, dass er eine großgliedrige Kette mit Schäkel und Haken in seiner privaten Arbeitstasche verstaut hatte, um sie mit nach Hause zu nehmen. Auf Nachfrage gab der Kläger an, er habe sich die Kette vom Schrottplatz des Bauhofs genommen.

Am Montag, 15.10.2012, führte der Leiter der MSM ein Gespräch mit dem Kläger und hörte ihn zum Vorwurf des versuchten Diebstahls an. Mit Schreiben vom 19.10.2012, das am 22.10.2012 dort eingegangen ist, beantragte der LBM die Zustimmung des Integrationsamts zur beabsichtigten Kündigung. Mit Bescheid vom 31.10.2012 erteilte das Integrationsamt die Zustimmung. Der Bescheid ist der Zentrale der LBM in C-Stadt per Einschreiben übermittelt worden und trägt in der Anschriftenzeile in Fettdruck den Vermerk: "Personalangelegenheit". In der Betreffzeile ist in Fettdruck ausgeführt:

"Durchführung des Sozialgesetzbuchs - Neuntes Buch - (SGB IX)Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Herrn A., geb. 1963, wh.: ..."

Der Bescheid ging laut Eingangsstempel am 02.11.2012, einem Freitag und sog. Brückentag, in der Poststelle der Zentrale des LBM in C-Stadt ein. Dort ist freitags um 12:00 Uhr Dienstschluss. Der Bescheid gelangte am Mittwoch, dem 07.11.2012 per Hausboten an den zuständigen Sachbearbeiter.

Das beklagte Land kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 07.11.2012 außerordentlich fristlos, hilfsweise mit einer sozialen Auslauffrist zum 30.06.2013. Gegen diese Kündigung, die ihm am 08.11.2012 zugegangen ist, wehrt sich der Kläger mit seiner am 28.11.2...

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