Entscheidungsstichwort (Thema)

Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit als fristloser Kündigungsgrund. Sekundäre Beweislast des Arbeitnehmers bei Erschütterung der AU-Bescheinigung. Unbeachtlichkeit von Verfahrensmängeln beim Betriebsrat für Anhörung nach § 102 BetrVG

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit rechtfertigt schon an sich eine fristlose Kündigung, die dann lediglich noch den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit zu unterziehen ist.

2. Wenn der Arbeitgeber den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit Erfolg erschüttert, obliegt es dem Arbeitnehmer dann im Rahmen seiner sekundären Beweislast doch eine Arbeitsunfähigkeit zu belegen.

3. Mängel im Verfahren des Betriebsrats berühren die Wirksamkeit der Anhörung nicht.

 

Normenkette

BetrVG § 102 Abs. 1 Sätze 1, 3; BGB § 626 Abs. 1; ZPO § 97 Abs, 1, § 286 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 13.10.2020; Aktenzeichen 11 Ca 449/20)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - 11 Ca 449/20 - vom 13. Oktober 2020 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

  • II.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung und über die teilweise Rückforderung einer Jahressonderzahlung, die die Beklagte im Wege der Widerklage verfolgt.

Die Beklagte produziert ua. Trafos an mehreren Standorten in Deutschland und beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden.

Der 1974 geborene, verheiratete und vier Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist aufgrund schriftlichen Anstellungsvertrages vom 09. Januar 2009 (Bl. 13 ff. d. A., im Folgenden: AV) seit 12. Januar 2009 als Produktionsarbeiter in der Abteilung Trafo-Fertigung bei der Beklagten am Standort A-Stadt beschäftigt, zuletzt zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von 2.783,00 Euro. Wegen der Einzelheiten des Arbeitsvertrages wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Die für den Betrieb geschlossene BV Nr. 9 regelt unter Ziff. 7 ua. die Möglichkeit unbezahlter Freistellung von Mitarbeitern auszugsweise wie folgt (vgl. Bl. 88 ff. d. A.):

"7.Unbezahlte Freistellung

7.1 Beschreibung der Maßnahme

Sofern Beschäftigte eine unbezahlte Freistellung wünschen, um ihre beruflichen und privaten Interessen in Einklang zu bringen, prüft der Arbeitgeber diesen Wunsch. Der Arbeitgeber kann den Beschäftigten auf Antrag ohne Fortzahlung des Arbeitsentgelts bis zu maximal drei Monaten beurlauben.

7.2 Grundsätze/Voraussetzungen

Die unbezahlte Freistellung darf ein Zeitraum von insgesamt drei Monaten nicht überschreiten.

[...]

7.6 Einsatz nach Rückkehr

Nach Ablauf der unbezahlten Freistellung tritt die ursprüngliche Vereinbarung über das Arbeitszeitvolumen mit allen sich daraus ergebenden arbeitsvertraglichen Regelungen wieder in Kraft. Der Beschäftigte erhält nach seiner Rückkehr den Arbeitsplatz, den er vor Beginn der unbezahlten Freistellung zuletzt tätig gewesen ist. Sofern dies nicht möglich ist, hat der Beschäftigte Anspruch auf einen gegenüber seiner ehemaligen Tätigkeit gleichwertigen Arbeitsplatz."

Im Juli 2019 stellte der Kläger einen Antrag auf unbezahlte Freistellung für den Zeitraum vom 01. September bis 30. November 2019, um in dieser Zeit in dem indischen Restaurant "Z." zu arbeiten, dessen Übernahme der Kläger beabsichtigte. Die Beklagte bewilligte dem Kläger die begehrte Freistellung.

Am 05. November 2019 fragte der Kläger telefonisch bei der Personalsachbearbeiterin Y. der Beklagten an, ob die unbezahlte Freistellung drei bis sechs Monate verlängert werden könne. Die Teamkoordinatorin der Beklagten X. teilte ihm nach interner Rücksprache am 07. November 2019 mit, dass eine Verlängerung der unbezahlten Freistellung aufgrund der Voraussetzungen der Betriebsvereinbarung nicht möglich sei und zudem ein erhöhtes Auftragsvolumen bestehe, das jeden Mitarbeiter erfordere.

Mit Schreiben vom 15. November 2019 (Blatt 42 d. A.) folgenden Inhaltes wandte sich der Kläger erneut an seine Vorgesetzten bei der Beklagten:

"Ich beantrage ein weitere unbezahlte Urlaub für 3-6 Monate, Grund wissen Sie schon, wen so das genehmigen währe ich sehr dankbar. Ich weiß das zurzeit ist mehr Arbeit aber es geht um sehr wichtiges für mich und meine Familie."

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Schreiben vom 25. November 2019 unter Bezugnahme auf betriebsbedingte Gründe mit Hinweis auf die Erreichung des nach der BV Nr. 9 maximal möglichen Zeitraums einer unbezahlten Freistellung ab.

Der Kläger erschien zum vereinbarten Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme am 02. Dezember 2019 nicht zur Arbeit und meldete sich am gleichen Tag telefonisch arbeitsunfähig. Am 05. Dezember 2019 - und damit nach Ablauf der Vorlagefrist von drei Werktagen gemäß § 4 Ziff. 4 AV - legte der Kläger bei der Beklagten eine vom 03. Dezember 2019 datierende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung über den Zeitraum vom 02. bis 06. Dezember 2019 (Bl. 93 d. A.) vor.

Am Nachmittag des 05. Dezember 2019 trafen der Werkleiter W....

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