Entscheidungsstichwort (Thema)

Beobachtbare Stimmangabe bei angeordneter schriftlicher Stimmabgabe zur Wahl der Hauptschwerbehindertenvertretung. Unwirksame Betriebsratswahl bei Nichtberücksichtigung gültiger Stimmen

 

Leitsatz (amtlich)

Hat der Wahlvorstand für die Wahl der Hauptschwerbehindertenvertretung schriftliche Stimmabgabe beschlossen, führt ein Verstoß gegen das Gebot unbeobachteter Kennzeichnung der Stimmzettel nicht zur Ungültigkeit der abgegebenen Stimmen, wenn die Wahlberechtigten sich bewusst und in freier Entscheidung in die Situation begeben haben, die eine Beobachtung ermöglichte.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Wahlanfechtungsantrag ist begründet, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht verstoßen wird, indem gültig abgegebene Stimmen bei Feststellung des Wahlergebnisses nicht berücksichtigt werden und dadurch angesichts der geringen Anzahl wahlberechtigter Personen das Wahlergebnis im Sinne des § 25 BPersVG geändert oder beeinflusst werden kann.

2. Gemäß § 2 WahlO SchwbV bereitet der Wahlvorstand die Wahl vor und führt sie durch; das beinhaltet auch die Verpflichtung der einzelnen Wahlvorstandsmitglieder, im Rahmen des Möglichen für eine ordnungsgemäße Durchführung der Wahl zu sorgen, wozu insbesondere auch die Verpflichtung gehört, dass bei der Urnenwahl grundsätzlich zwei Mitglieder des Wahlvorstandes im Wahlraum anwesend sein müssen.

3. Haben anwesende Mitglieder des Wahlausschusses Zweifel daran, ob abgegebene Stimmen aufgrund der Art und Weise der Stimmangabe gültig sind, haben sie die betroffenen Wahlberechtigten darauf hinzuweisen; der Einwurf von Wahlumschlägen in die Wahlurne unter Wahrung äußerlicher Formalitäten ist nach § 11 Abs. 1 Satz 2 WahlO SchwbV ein Anzeichen dafür ist, dass die schriftliche Stimmabgabe ordnungsgemäß im Sinne des § 11 WahlO SchwbV erfolgt ist.

 

Normenkette

BPersVG § 25; SchwbG § 27 Abs. 6; SchwbVWO § 11 Abs. 3; SGB IX §§ 96-97; Zusatzabkommen Nato-Truppenstatut (ZA-NTS) Art. 56 Abs. 6; WahlO SchwbV § 2; WahlO SchwbV § 11 Abs. 1 S. 2, Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 17.04.2015; Aktenzeichen 8 BV 12/15)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 21.03.2018; Aktenzeichen 7 ABR 29/16)

 

Tenor

  1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 4 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 17.4.2015, Az.: 8 BV 12/15, wird zurückgewiesen.
  2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl zur Hauptschwerbehindertenvertretung. Die Beteiligten zu 1) bis 3) sind Schwerbehindertenvertreter. Die Beteiligte zu 4) ist die aus der Wahl hervorgegangene Hauptschwerbehindertenvertretung

Der Wahlvorstand der Dienststelle U. der alliierten Streitkräfte, dessen Vorsitzender Herr J. R. war, erließ unter dem 12.5.2015 ein Wahlausschreiben für die Wahl der Hauptschwerbehindertenvertretung (Bl. 11 f. d.A.). Der Wahlvorstand beschloss dabei schriftliche Stimmabgabe. Als letzter Tag des Eingangs der schriftlichen Stimmabgaben wurde der 30.3.2015, 12.00 Uhr bestimmt. Das Wählerverzeichnis (Bl. 54 d.A.) weist 7 Wahlberechtigte aus. Die Anschrift der Beteiligten zu 3 ist dort hinsichtlich der Hausnummer (8 statt 7) unzutreffend angegeben. Der Wahlvorstand beschloss, das Wahlausschreiben an folgenden Stellen auszuhängen:

- Flugplatz S. (Kantine)

- Flugplatz R. (Kantine)

- Depot G. (Kantine D. sowie Kantine De.)

- K. Kaserne K. (Schwarzes Brett der Schwerbehindertenvertretung)

- US-Liegenschaft E. (Schwarzes Brett im Gebäude XX).

Am 26.03.2015 gingen die Beteiligten zu 1) bis 3) und Frau C. in das Wahlbüro, das sie verschlossen vorfanden. Es wurde dann von dem Wahlvorstand R. geöffnet. Die Antragsteller 1) bis 3) füllten ihre Wahlzettel offen und gemeinsam an einem Tisch dort aus. Drei weitere Umschläge mit Wahlstimmen waren zu diesem Zeitpunkt schon abgegeben. Da die Gummierung der Umschläge der Antragsteller 1) bis 3) und von Frau C. defekt waren, wurden sie mit Tesafilm zugeklebt und von Herrn R. in die Wahlurne geworfen.

Herr R. unterrichtete in der Folge hierüber die weiteren Mitglieder des Wahlvorstandes. Mit Beschluss vom 30.3.2015 (Bl. 55 d.A.) fasste der Wahlvorstand folgenden Beschluss:

"Der Wahlvorstand hat beschlossen diese Wahlunterlagen für ungültig zu erklären, da keine geheime Wahl stattgefunden hat, bzw. die Stimmzettel nicht unbeobachtet persönlich ausgefüllt wurden. Die Wahlberechtigten haben somit gegen die Wahlordnung verstoßen".

In Vollzug dieses Beschlusses wurden die Stimmen der Beteiligten zu 1-3 sowie der Frau C. bei der Auszählung der Stimmen und Feststellung des Wahlergebnisses am 30.3.l2015 (Bl. 56) nicht berücksichtigt.

Mit dem 9.4.2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag der Beteiligten zu 1-3 machen diese die Unwirksamkeit der Wahl geltend. Sie haben die Anfechtung neben der Nichtberücksichtigung der genannten Stimmen im Wesentlichen darauf gestützt, dass ihrer Ansicht nach das Wahlausschreiben nicht ordnungsgemäß ausgehangen worden sei, insbesondere sei auch ein Aushang im Bereich der 3 km...

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