Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellungsantrag des Betriebsrats zur Führung eines gemeinsamen Betriebs bei unzureichender Widerlegung der gesetzlichen Vermutung durch die Arbeitgeberinnen. Vertretungsrecht des Betriebsrats im gemeinsamen Betrieb zweier Arbeitgeberinnen bei fortdauernder Betriebsidentität

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach § 18 Abs. 2 BetrVG kann bei Zweifeln darüber, ob eine betriebsratsfähige Organisationseinheit vorliegt, jeder beteiligte Betriebsrat eine Entscheidung des Arbeitsgerichts beantragen; mit diesem Verfahren eröffnet das Gesetz die Möglichkeit, gerichtlich mit Bindungswirkung unabhängig von einer konkreten Betriebsratswahl klären zu lassen, ob eine Organisationseinheit betriebsratsfähig ist.

2. Die Betriebsratsfähigkeit einer Organisationseinheit ist als Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO zu erachten, das gerichtlich gesondert festgestellt werden kann.

3. Betriebsratsfähige Organisationseinheiten im Sinne des § 18 Abs. 2 BetrVG liegen vor, wenn es sich bei den Einrichtungen um Betriebe im Sinne des § 1 Abs. 1 BetrVG, um selbständige Betriebsteile nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG oder um betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheiten im Sinne des § 3 Abs. 5 Satz 1 BetrVG handelt.

4. Ein Betrieb im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist eine organisatorische Einheit, innerhalb derer die Arbeitgeberin zusammen mit den von ihr Beschäftigten bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt; ein Betrieb kann auch von mehreren Arbeitgeberinnen als gemeinsamer Betrieb geführt werden.

5. Arbeitgeberinnen führen einen gemeinsamen Betrieb, wenn sie im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG Betriebsmittel und Beschäftigte zur Verfolgung arbeitstechnischer Zwecke gemeinsam einsetzen und die Voraussetzungen der Vermutung einer einheitlichen Leitung (unwiderlegt) erfüllt sind.

6. Das Betriebsverfassungsgesetz beruht auf der Annahme einer ausschließlich betriebsbezogenen Interessenvertretung durch die gewählten Repräsentanten der betriebsangehörigen Beschäftigten; die Zuständigkeit des Betriebsrats ist an die Identität desjenigen Betriebs geknüpft, für den er gewählt worden ist.

7. Solange die Identität des Betriebs fortbesteht, behält der Betriebsrat das ihm durch die Wahl übertragene Mandat zur Vertretung der Belegschaftsinteressen und zur Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben; geht die Identität des Betriebs in Folge organisatorischer Änderungen verloren und entsteht dadurch ein neuer Betrieb, endet das Amt des Betriebsrats.

8. Führen zwei Arbeitgeberinnen einen gemeinsamen Betrieb, vertritt der ursprünglich bei der einen Arbeitgeberin gewählte Betriebsrat auch die Beschäftigten der zweiten Arbeitgeberin, wenn eine betriebliche Umorganisation, die eine Änderung der bisherigen Betriebsidentität zur Folge hat, nicht vorliegt (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG).

 

Normenkette

BetrVG § 1 Abs. 2, 2 Nr. 2, § 18 Abs. 2, §§ 24, 25 Abs. 1 S. 1, § 1 Abs. 1, 2 Nr. 1; ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 23.04.2015; Aktenzeichen 10 BV 64/14)

 

Tenor

  • I.

    Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) und 3) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23. April 2015 - Az: 10 BV 64/14 - wird zurückgewiesen.

  • II.

    Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Die Beteiligten streiten im Rahmen der betriebsverfassungsrechtlichen Zuordnung von Betrieben darüber, ob die zu 2) und 3) beteiligten Arbeitgeberinnen einen gemeinsamen Betrieb führen, für den der antragstellende Betriebsrat zuständig ist.

Die 1999 gegründete Beteiligte zu 2) (im Folgenden: Arbeitgeberin 1) erbringt schwerpunktmäßig Dienstleistungen und entwickelt Produkte auf dem Gebiet der rechtssicheren Organisation von Elektro- und Medizintechnik. Sie bietet neben Software und Hardware Schulungen und Beratungen an und ist in der A-Straße in K ansässig. Allein dort beschäftigte sie zuletzt 20 Mitarbeiter. Ausweislich eines Organigramms der Arbeitgeberin 1 aus Oktober 2012 (Bl. 31 d. A.) waren der Geschäftsführung der Arbeitgeberin 1 zum damaligen Zeitpunkt die Bereiche Verwaltung, Vertrieb, Entwicklung und Produkt-Management unterstellt. Der Vertrieb untergliederte sich in Marketing (Messen, Fachtagungen), Außendienst und Kundenbetreuung (Innendienst und Support). Der antragstellende Beteiligte zu 1) ist der am 03. April 2013 bei der Arbeitgeberin gewählte, aus drei Personen bestehende Betriebsrat (im Folgenden: Betriebsrat), dem zunächst dessen Vorsitzender K und die Betriebsratsmitglieder L und C angehörten. Zuletzt tritt für den Betriebsrat als Vorsitzender das ursprüngliche Ersatzmitglied E auf. Weiter gehören dem Betriebsrat das Betriebsratsmitglied L und das ursprüngliche Ersatzmitglied G.

Im Juni 2014 führte D M, der spätere Geschäftsführer der Arbeitgeberin 2, Bewerbungsverfahren für Stellen im Außen- und Innendienst durch. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob er Mitarbeiter für die Arbeitgeberin 1 oder 2 suchte. Eine Beteiligung des Betriebsrates der Arbeitgeberin 1 erfolgte nicht. Ende Juni 2014 ka...

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