Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtungsfrist zur Betriebsratswahl. Unzulässige Verkürzung der Frist zur Einreichung von Vorschlagslisten. Beeinflussbarkeit des Wahlergebnisses

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die zweiwöchige Anfechtungsfrist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG beginnt mit der ordnungsgemäßen Bekanntmachung des endgültigen Wahlergebnisses durch den Wahlvorstand gem. §§ 18 Satz 1 und 3 Satz 4 WO.

2. Liegt die vom Wahlvorstand im Wahlausschreiben für die Einreichung von Vorschlagslisten festgesetzte Frist in Bezug auf eine Uhrzeit (hier: 16.00 Uhr) vor dem Ende der Arbeitszeit der Mehrheit der Arbeitnehmer, liegt ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften vor.

3. Eine Betriebsratswahl kann nur erfolgreich angefochten werden, wenn der Verstoß gegen die Wahlvorschriften geeignet war, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Legt der Wahlvorstand das Fristende auf 16.00 Uhr fest, kann nicht ausgeschlossen werden, dass noch weitere Vorschlagslisten bis zum Ende der Arbeitszeit der Mehrheit der Arbeitnehmer eingereicht worden wären. Dies reicht für das Merkmal der Beeinflussbarkeit des Wahlergebnisses aus.

 

Normenkette

BetrVG § 19; WO § 17 Abs. 1, § 18 S. 1, § 3 S. 4, § 6 Abs. 1 S. 2; BetrVG §§ 9, 37 Abs. 3; BGB § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2; WO § 41

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 14.04.2021; Aktenzeichen 12 BV 28/20)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) bis 3) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 14. April 2021 - 12 BV 28/20 - abgeändert und die Betriebsratswahl vom 18. November 2020 wird für unwirksam erklärt.

  • II.

    Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A

Die zu 1), 2) und 4) (zuletzt: zu 1) bis 3)) beteiligten, im Betrieb der Beteiligten zu 6) (zuletzt: zu 5) ) (im Folgenden: Arbeitgeberin) wahlberechtigten Arbeitnehmer machen die Unwirksamkeit einer am 18. Mai 2020 durchgeführten Wahl geltend, aus der der zu 5) (zuletzt: zu 4)) beteiligte Betriebsrat (im Folgenden: Betriebsrat) hervorging.

Die Arbeitgeberin ist ein Dienstleistungsunternehmen mit dem Schwerpunkt öffentlicher Personennahverkehr in der Stadt K.

Anlässlich der Betriebsratswahl 2020 bestand der Wahlvorstand im Betrieb der Arbeitgeberin aus fünf Mitgliedern, dem Wahlvorstandsvorsitzenden H. S., sowie den Wahlvorstandsmitgliedern T. D., H. N., V. B. und M. L.

Der Wahlvorstand erließ am 24. September 2020 ein Wahlausschreiben, das auszugsweise wie folgt lautet:

"...

Die Betriebsratswahl findet am 18.11.2020 von 7.30 Uhr bis 18.00 Uhr in Raum 128 statt.

...

Das Geschlecht, das in der Belegschaft in der Minderheit ist, muss mindestens entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein, wenn der Betriebsrat aus mindestens drei Mitgliedern besteht (§ 15 Abs. 2 BetrVG). In unserem Betrieb sind 33 Frauen und 244 Männer beschäftigt.

Der Betriebsrat hat aus 9 Mitgliedern zu bestehen. Auf das Geschlecht in der Minderheit der Frauen entfällt ein Mindestsitz (§ 15 Abs. 2 BetrVG).

Gewählt werden können weiter nur diejenigen Arbeitnehmer/innen, die ordnungsgemäß zur Wahl vorgeschlagen wurden. Ein ordnungsgemäßer Wahlvorschlag setzt voraus, dass dieser gemäß § 14 Abs. 4 BetrVG von mindestens 15 wahlberechtigten Arbeitnehmern bzw. Arbeitnehmerinnen unterzeichnet worden ist (Stützunterschriften). Der Wahlvorschlag einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft muss von zwei Beauftragten unterzeichnet worden sein (§ 14 Abs. 5 BetrVG).

Die Stimmabgabe ist an die Wahlvorschläge gebunden. Die Wahlvorschläge müssen schriftlich in Form von Vorschlagslisten vor Ablauf von zwei Wochen seit dem Aushang dieses Wahlausschreibens beim Wahlvorstand unter der oben genannten Betriebsadresse des Wahlvorstands eingereicht werden. Der letzte Tag für die Einreichung der Vorschlagslisten ist der 08. Oktober 2020 bis 16.00 Uhr.

Bei der Aufstellung von Vorschlagslisten sollen das Geschlecht in der Minderheit, die einzelnen Organisationsbereiche und die verschiedenen Beschäftigungsarten berücksichtigt werden. Nicht fristgerecht eingereichte Wahlvorschläge können nicht berücksichtigt werden.

..."

Das Wahlausschreiben wurde am gleichen Tag um 12.30 Uhr im Betrieb der Arbeitgeberin im I. OG, Flur rechts, im Flur nahe Umkleide-/Pausenraum der Werkstatt, am Eingang zur Werkstatt und im Durchgang zum Lichthof zur Terrasse im I. OG ausgehängt.

Am Freitag, dem 8. Oktober 2020 übergab gegen 15.00 Uhr der Antragsteller zu 1) als Listenführer dem Wahlvorstandsmitglied D. im Beisein des weiteren Wahlvorstandsmitglieds N. die Wahlvorschlagsliste "D. L." (vgl. Bl. 20 R ff. d. A.) Auf der Liste waren ersichtlich zehn Kandidaten unter Angabe ihrer Funktion im Betrieb und - zugleich als Stützunterschrift geltender - Unterschrift, wobei bis auf den Kandidaten U. alle mit Foto abgebildet waren. Die Unterschrift des unter Ziff. 9 ersichtlichen Kandidaten M. P. hatte dieser kurz vor Übergabe der Liste aus zwischen den Beteiligten streitigen Gründen persönlich durchgestrichen. Der Liste angefügt waren 13 zusätzliche Stützunterschriften.

Die beiden Wahlvorstands...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge