Entscheidungsstichwort (Thema)

Vergütung des Arbeitnehmers bei insolvenzrechtlicher Freistellung nach Erklärung der Masseunzulänglichkeit. Unerheblichkeit unverzüglicher Zurückweisung des Freistellungsschreibens mangels Vollmachtvorlage

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der sogenannten "insolvenzrechtlichen Freistellung" von Arbeitnehmern durch den Insolvenzverwalter nach Erklärung der Masseunzulänglichkeit handelt es sich nicht um eine Willenserklärung oder eine geschäftsähnliche Handlung, sondern lediglich um die Mitteilung, dass die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht in Anspruch genommen werden solle.

2. Eine Zurückweisung dieser Mitteilung nach § 174 BGB wegen Fehlens der Vollmachtsvorlage geht daher ins Leere.

3. Der Entgeltzahlungsanspruch des "freigestellten" Arbeitnehmers wird auch dann nicht zur Neumasseverbindlichkeit im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO, wenn der Insolvenzverwalter rechtswidrig statt derjenigen des Klägers die Arbeitsleistung eines anderen Arbeitnehmers in Anspruch genommen hat. Insoweit ist mangels Leistungsbestimmung des Verwalters zwar nicht auf "billiges Ermessen" abzustellen. Der Insolvenzverwalter könnte aber insoweit seine arbeitsvertragliche Fürsorgepflicht verletzt und sich aus diesem Grund ersatzpflichtig gemacht haben; dies ist vorliegend nicht erkennbar.

 

Normenkette

InsO § 209 Abs. 1 Nr. 2; BGB § 174; InsO §§ 60, 209 Abs. 2 Nrn. 1-3; BGB § 611 Abs. 1; ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 22.06.2010; Aktenzeichen 6 Ca 9775/09)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 22.06.2010, Az. 6 Ca 9775/09, wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

II. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten unter anderem über die Vergütungspflicht in einem Arbeitsverhältnis nach Freistellung in der Insolvenz.

Der Kläger ist seit 1988 bei der Gemeinschuldnerin zuletzt als Sachbearbeiter Ablaufsteuerung beschäftigt. Er bezog zuletzt ein Bruttoentgelt von 3.378,29 € monatlich.

Über das Vermögen der Gemeinschuldnerin wurde aufgrund Antrags vom 09.06.2009 mit Wirkung zum 01.09.2009 Insolvenz eröffnet und der Vorgänger des Beklagten als Insolvenzverwalter bestellt. Mit Schreiben vom 29.10.2009 zeigte der Insolvenzverwalter beim Amtsgericht Essen Masseunzulänglichkeit an. Mit Schreiben vom 30.10.2009 erklärte die Gemeinschuldnerin gegenüber dem Kläger, dass seine Arbeitsleistung mit sofortiger Wirkung nicht mehr in Anspruch genommen werde und dass auch die Entgeltzahlungen eingestellt würden. Das Schreiben ist mit der Bezeichnung "i.V." durch die Angestellte K...

unterzeichnet (Anlage 3 zur Klageschrift, Bl. 14 d.A.). Die anwaltlichen Vertreter des Klägers widersprachen der Freistellung ohne Entgeltfortzahlung und boten die Arbeitskraft des Klägers unter Zurückweisung des Freistellungsschreibens mangels Vollmachtsvorlage nach § 174 BGB ausdrücklich an (Anlage 4 zur Klageschrift, Bl. 15 d.A.). Der Kläger war arbeitsunfähig erkrankt und bezog von 01.11.2009 bis 15.12.2009 Krankengeld in Höhe von 775,46 € netto.

Mit Schreiben vom 26.11.2009 (Anlage 2 zur Klageschrift, Bl. 12 d.A.) kündigte der Insolvenzverwalter unter seinem Briefkopf das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Wirkung zum 28.02.2010. Das Kündigungsschreiben ist ebenfalls durch die Angestellte K... unterzeichnet; ihm lag eine Vollmacht des Insolvenzverwalters für die Angestellte K... zur Erklärung von Kündigungen bei.

In seiner am 17.12.2009 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung vom 26.11.2009, ihm zugegangen am 27.11.2009, geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam. Sie sei sozial nicht gerechtfertigt und verstoße gegen § 15 KSchG, weil er als Ersatzmitglied des Betriebsrats gewählt sei. Auch sei die Kündigungsfrist nicht eingehalten. Die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats werde bestritten. Im übrigen werde bestritten, dass die der Kündigung beiliegende Vollmacht eine Originalunterschrift aufweise und zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung noch nicht widerrufen gewesen sei. Auch werde bestritten, dass eine Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG gestellt worden sei.

Die Freistellungserklärung sei mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde unwirksam. Zudem lägen Gründe, die seine Freistellung rechtfertigten, nicht vor. Mit am 19.02.2010 eingegangener Klageerweiterung hat der Kläger geltend gemacht, der Insolvenzverwalter habe aus dem Vermögen der Gemeinschuldnerin Entgeltfortzahlung in Höhe von 5.068,19 € brutto abzüglich des erhaltenen Krankengeldes zu zahlen; ihm stehe aufgrund der unwirksamen Freistellungserklärung ein entsprechender Entgeltfortzahlungsanspruch zu. Dieser sei nach § 209 Abs. 2 Ziff. 2 InsO als Neumasseverbindlichkeit zu berücksichtigen.

Soweit er mit seiner Kündigungsschutzklage keinen Erfolg habe, stehe ihm ein hilfsweise geltend gemachter Urlaubsabgeltungsanspruch zu.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt - nach Abschluss eine...

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