Entscheidungsstichwort (Thema)

Annahmeverzug des Arbeitgebers nach Ablauf einer befristet zugewiesenen leidensgerechten Beschäftigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers

 

Leitsatz (amtlich)

Weist der Arbeitgeber einem als schwerbehinderter Mensch anerkannten Arbeitnehmer, der seine Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann, befristet eine leidensgerechte Beschäftigung in Erfüllung seiner Verpflichtung nach § 106 Satz 3 GewO, § 81 Abs. 4 SGB IX aF zu gerät er in Annahmeverzug, wenn es die ursprünglich ausgeübte Tätigkeit nicht mehr gibt und er nach Befristungsablauf sein Direktionsrecht nicht neu ausübt.

 

Normenkette

BGB §§ 293-294; GewO § 106 Abs. 3; SGB IX a.F. § 81 Abs. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 04.03.2019; Aktenzeichen 1 Ca 373/18)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 14.10.2020; Aktenzeichen 5 AZR 649/19)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 4. März 2019 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.472,78 € brutto zu zahlen sowie 26,59 € auf das VML-Konto des Klägers zu überweisen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die von dem Kläger für Juni 2018 geforderte Annahmeverzugsvergütung.

Der am 00.00.1980 geborene, von Geburt hörgeschädigte Kläger, der mit einem GdB von 100% als Schwerbehinderter anerkannt ist, wurde auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 26. Juni 2008 (Anlage K 1 zum Klägerschriftsatz vom 20. Dezember 2018, Bl. 49 ff. dA) zum 01. Juli 2008 als "Industriearbeiter im Pool (zur flexiblen Abdeckung von Leistungsbedarfen bei S., C., P. GmbH, I. GmbH, Konzernfirmen und Drittfirmen)" bei der S. und T. GmbH eingestellt. Diese Firma war eine Tochtergesellschaft der S. AG und ist im Jahre 2013 oder 2014 auf die Beklagte verschmolzen worden. Der Kläger wurde zunächst als Bohrwerkshelfer eingesetzt. Aufgrund eines Rückenleidens kann er diese Tätigkeit seit 2012 nicht mehr ausüben. Zwischenzeitlich wird die Tätigkeit eines Bohrwerkshelfers bei der Beklagten nicht mehr ausgeübt. Die Tätigkeiten der ehemaligen Bohrwerkshelfer haben die Bohrwerker übernommen. Ab August 2013 begann der Kläger eine Umschulung zum Bürokaufmann, die er im Jahre 2016 abschloss. Ab dem 24. Juni 2016 wurde der Kläger befristet bis zum 30. November 2017 im Rahmen einer sogenannten Abstellung (Anlage K 1 zur Klagschrift, Bl. 6 dA) als Sachbearbeiter bei der Werksfeuerwehr der Beklagten eingesetzt. Anschließend absolvierte er vom 01. Dezember 2017 bis zum 10. Januar 2018 eine Reha-Maßnahme. In der Folgezeit war der Kläger arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Beklagte zahlte dem Kläger Vergütung für die Monate Dezember 2017 bis Februar 2018. Anschließend bezog der Kläger Krankengeld bis zum 03. Juni 2018.

Ab dem 04. Juni 2018 bot der Kläger der Beklagten wiederholt seine Arbeitsleistung an. Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 05. Juni 2018 (Anlage K 5 zur Klagschrift, Bl. 13 dA) mit, dass er laut arbeitsmedizinischer Stellungnahme vom 11. Januar 2018 dauerhaft nicht mehr in der Lage sei, seine vertraglich geschuldete Leistung als Bohrwerkshelfer im Bereich Hauptwerkstatt Zerspanung zu erbringen, und auch keine leidensgerechten Einsatzmöglichkeiten gegeben seien, weshalb er davon absehen möge, weiterhin im Betrieb oder in der Personalabteilung zu erscheinen, um seine Arbeitsleistung anzubieten. Die Beklagte zahlte dem Kläger für den Monat Juni 2018 keine Vergütung. Von einer zunächst seit März 2018 beabsichtigten Kündigung des Klägers, für die das Integrationsamt mit Schreiben vom 15. Juni 2018 seine Zustimmung erteilt hatte (Anlage K 10 zur Klageschrift, Bl. 21 ff. dA), nahm die Beklagte Abstand, nachdem im Juni 2018 ein Arbeitsplatz im Lager aufgrund des Ablebens eines Kollegen frei geworden war. Vom 1. Juli 2018 bis 31. Dezember 2018 setzte die Beklagte den Kläger befristet als Lageristen ein. In weiteren Verfahren vor dem Arbeitsgericht Braunschweig streiten die Parteien unter anderem um Annahmeverzugsvergütungsansprüche für 2019 und eine zwischenzeitlich ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Mit Schreiben seiner Gewerkschaft vom 01. August 2018 (Anlage K 11 zur Klageschrift, Bl. 25 dA) hat der Kläger Annahmeverzugsansprüche in Höhe von 2.499,37 € br. (2.472,78 € zzgl. des Arbeitgeberanteils der vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von 26,59 €) für den Zeitraum 04. - 30. Juni 2018 geltend gemacht. Die Beklagte wies den Anspruch mit Schreiben vom 14. August 2018 zurück (Anlage K 12 vom 14. August 2018, Bl. 27 dA).

Mit seiner am 28. September 2018 bei Gericht eingegangenen Klage hat der Kläger - soweit zweitinstanzlich noch von Interesse - Vergütung für die Zeit vom 04.06.2018 bis zum 30.06.2018 in Höhe von 2.499,37 € brutto zzgl. Zinsen aus Annahmeverzug ab dem 01. Juli 2018 verlangt.

Der Kläger hat beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, 2.499,37 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweilige...

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