Entscheidungsstichwort (Thema)

Versorgungsschaden wegen Arbeitgeberkündigung. Fürsorgepflicht

 

Leitsatz (redaktionell)

Aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers können sich besondere Hinweis- und Aufklärungspflichten ergeben. Deren Voraussetzungen und Umfang richten sich dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Der jeder Partei zuzubilligende Eigennutz findet seine Grenzen an dem schutzwürdigen Lebensbereich des Vertragspartners. Die erkennbaren Informationsbedürfnisse des Arbeitnehmers einerseits und die Beratungswürdigkeit des Arbeitgebers andererseits sind stets zu beachten.

 

Normenkette

BGB § 242

 

Verfahrensgang

ArbG Lüneburg (Urteil vom 19.12.2002; Aktenzeichen 3 Ca 1535/01)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 23.09.2003; Aktenzeichen 3 AZR 658/02)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 19.12.2002 – 3 Ca 1535/01 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Schadensersatz für einen Versorgungsschaden, der nach arbeitgeberseitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden ist.

Die … 1939 geborene Klägerin war seit dem 1. Juni 1990 bei dem Beklagten als Küchenhilfskraft beschäftigt. Im Verlaufe des Arbeitsverhältnisses ergaben sich zunehmend Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Durch Bescheid des Versorgungsamtes … vom 24. Januar 1994 wurde für die Klägerin ein Grad der Behinderung von 20 % festgestellt. Eine vertrauensärztliche Stellungnahme vom 15. Oktober 1996, wegen deren genauen Inhalts auf die mit der Klageschrift überreichte Kopie Bezug genommen wird, attestierte, dass die Klägerin für ihre bisherige Tätigkeit nicht mehr uneingeschränkt dienstfähig sei.

Mit Schreiben vom 12. Dezember 1996 erklärte die Beklagte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 1997 mit der Begründung, aufgrund der erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten sei es nicht mehr möglich, den Arbeitsvertrag aufrecht zu erhalten. Im Zusammenhang mit der Kündigung erhielt die Klägerin ein Merkblatt der VBL, wegen dessen genauen Inhalts auf die mit der Klageschrift überreichte Kopie (Anlage K 4) verwiesen wird. Die Klägerin setzte sich gegen die Kündigung nicht zur Wehr.

Seit dem 1. Oktober 1999 erhält sie eine Altersrente der VBL, und zwar eine Versicherungsrente in Höhe von monatlich 74,47 DM.

Die Klägerin hat behauptet, zum 1. April 1997 sei sie nach ihrem Gesundheitszustand mindestens berufs- und im Ergebnis sogar erwerbsunfähig gewesen. Der Arbeitsmarkt sei ihr aufgrund ihres Alters und ihrer gesundheitlichen Beschwerden damals verschlossen gewesen.

Aufgrund ihrer Erwerbsunfähigkeit hätte sie bei unmittelbarer Verrentung ab 1. April 1997 eine Versorgungsrente in Höhe von mindestens 200,00 DM erhalten. Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte sei verpflichtet, ihr den Rentenschaden zu ersetzen, weil man sie nicht pflichtgemäß auf die Möglichkeit einer unmittelbar an das Arbeitsverhältnis anschließenden Verrentung hingewiesen habe. Das im Zusammenhang mit der Kündigung überreichte Merkblatt sei insoweit nicht als ausreichend anzusehen. Umfang und Ausmaß einer entsprechenden Kürzung und des Schadens bei einem Abfall von einer Versorgungsrente auf eine Versicherungsrente seien nicht hinreichend dargelegt. Es sei der Beklagten ferner zuzumuten gewesen, das Arbeitsverhältnis nicht zu beenden, sondern noch über 1 1/2 Jahre – ohne Bezüge – fortbestehen zu lassen, um so die volle VBL-Versorgungsrente zu gewährleisten.

Die Klägerin hat beantragt,

  1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin aufgrund der unterlassenen Beratung im Zusammenhang mit der Kündigung vom 12.12.1996 sämtliche daraus folgenden renten- und versorgungsrechtlichen Schäden zu ersetzen;
  2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 01.04.1997 unter Anrechnung der erhaltenen Beträge der Bundesanstalt für Arbeit, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder, eine Versorgungsanstalt nach den Grundsätzen der VBL-Satzung zu zahlen, als ob sie bei Eintritt des Versicherungsfalles ab 01. April 1997 pflichtversichert gewesen wäre.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die geltend gemachten erhöhten Aufklärungs- und Hinweispflichten des Arbeitgebers könnten allenfalls dann in Betracht kommen, wenn es um eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch einen Aufhebungsvertrag gehe.

Durch Urteil vom 19. Dezember 2001 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auferlegt und den Streitwert auf 4.500,00 DM festgesetzt. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 48 bis 50 d.A.) Bezug genommen. Das Urteil ist der Klägerin am 10. Januar 2002 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am Montag, dem 11. Februar 2002, Berufung eingelegt und diese am 8. März 2002 begründet.

Die Klägerin behauptet: Ihre gesundheitlichen Einschränkungen seien in dem Beschei...

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