Entscheidungsstichwort (Thema)

Regelungsabrede zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Regelungsabrede als schuldrechtliche Vereinbarung zwischen den Betriebsparteien. Keine Sperrwirkung aus § 77 Abs. 3 BetrVG bei Regelungsabreden. Keine Nachwirkung von Regelungsabreden

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Regelungsabreden zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sind formlose, schuldrechtliche Vereinbarungen zu allen Gegenständen, die auch durch Betriebsvereinbarung getroffen werden können.

2. Eine Regelungsabrede wirkt nicht unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse ein. Sie bindet nur die Betriebsparteien schuldrechtlich, sich entsprechend der getroffenen Abrede zu verhalten.

3. Die Sperrwirkung eines Tarifvertrages gem. § 77 Abs. 3 BetrVG steht einer Regelungsabrede der Betriebsparteien nicht entgegen, da sie keine Rechtsansprüche der Arbeitnehmer regelt.

4. Regelungsabreden entfalten weder in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten noch bei freiwilligen Leistungen eine Nachwirkung. Denn durch den Wegfall einer Regelungsabrede entsteht kein rechtsfreier Raum, sondern es kommen die betrieblichen und tarifvertraglichen Normen zur Anwendung.

 

Normenkette

BetrVG § 77 Abs. 2 S. 1, Abs. 3, 6, § 87 Abs. 1 Nr. 10, §§ 88, 99 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Augsburg (Entscheidung vom 21.02.2017; Aktenzeichen 7 BV 61/16)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 13.08.2019; Aktenzeichen 1 ABR 10/18)

 

Tenor

  1. Die Beschwerde des Betriebsrats und Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Augsburg vom 21.02.2017 - 7 BV 61/16 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Ziffer 2 des Beschlusses entfällt.
  2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten, soweit für das Beschwerdeverfahren noch von Interesse, über die Ersetzung der Zustimmung des bei der Arbeitgeberin (Antragstellerin und Beteiligte zu 1) bestehenden Betriebsrats (Beteiligte zu 2) zur Eingruppierung einer Arbeitnehmerin und ob der Betriebsrats dabei aus einer gekündigten Vereinbarung der Betriebspartner Widerspruchsgründe geltend machen kann.

Die Arbeitgeberin ist eine mittelständische Druckerei, die in ihrem Werk in N. ca. 360 Arbeitnehmer beschäftigt, von denen ca. 90 in der Betriebsabteilung "Buchbinderei" tätig sind.

Mit Wirkung zum 01.07.2008 schloss die Arbeitgeberin mit ver.di Landesbezirk B. Landesfachbereich Medien, Kunst und Industrie einen Firmentarifvertrag (Bl. 17 - 21 d. A.) ab, in dem u. a. stand:

"§ 1 Geltungsbereich

1.1 Dieser Tarifvertrag gilt für alle Arbeiter/innen, Angestellte, Auszubildende, im Außendienst Beschäftigte und Heimarbeiter/innen.

1.2 Dieser Tarifvertrag gilt für die Abteilungen Buchbinderei und Versand der B. in N. § 2 Anerkennung der Verbandstarifverträge

2.1 Die zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Tarifvertrages geltenden Tarifverträge bzw. für Arbeiter/innen, Angestellte und Auszubildende, die zwischen dem ver.di Bundesvorstand Fachbereich Medien, Kunst und Industrie bzw. dem ver.di Landesbezirk Bayern Landesfachbereich Medien, Kunst und Industrie und dem Hauptverband der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie e. V. bzw. dem Verband der Bayerischen Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie e. V. abgeschlossen sind, sind als Anlage A Bestandteil dieses Tarifvertrages und gelten für die unter ihrem jeweiligen Geltungsbereich aufgeführten Arbeitnehmer/innen.

2.2 Dieser Tarifvertrag gilt unmittelbar und zwingend zwischen den Parteien dieses Vertrages.

2.3 Werden zwischen dem ver.di Bundesvorstand Fachbereich Medien, Kunst und Industrie bzw. dem ver.di Landesbezirk B. Landesfachbereich Medien, Kunst und Industrie und dem Hauptverband der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie e. V. bzw. dem Verband der Bayerischen Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie e. V. Tarifverträge angeschlossen, die nicht in Anlage A aufgeführt sind, gelten diese ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens. Die Parteien nehmen diese unverzüglich in Anlage A auf.

2.1 2.4 Für den Fall von Ausgliederungen, Abspaltungen, Neugründungen verpflichtet sich die o. g. Gesellschaft, darauf hinzuwirken, dass für diese Firmen ein gleichlautender Firmentarifvertrag abgeschlossen wird bzw. dieser Firmentarifvertrag auch für die Firmen gilt."

Weiter vereinbarten die Arbeitgeberin und die Gewerkschaft ver.di Fachbereich Medien, Kunst und Industrie, B. mit einem Überleitungstarifvertrag (Bl. 22 - 28 d. A.) mit Wirkung ab 01.07.2008 die Anwendung der Tarifverträge der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie für die Abteilungen Buchbinderei und Versand als Firmen- und Anerkennungstarifvertrag.

In einem Schreiben vom 21.01.2009 mit dem Betreff "Tarifwechsel Buchbinderei/Versand zum 01.07.2008" (Bl. 34 und 36 d. A.) teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat u. a. folgendes mit:

"Im Rahmen der Verhandlungen über einen Tarifwechsel wurden folgende zwei Verträge abgeschlossen.

Anerkennungstarifvertrag

Dieser nimmt voll umfänglich Bezug auf den Tarifvertrag Papier und Pappe und gilt für ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge