Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsschutzinteresse an der Bildung einer Einigungsstelle. Offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle. Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für einen Sozialplan. Bestellung des Einigungsstellenvorsitzenden durch das Gericht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Für die Bildung einer Einigungsstelle fehlt grundsätzlich das Rechtsschutzinteresse, wenn die Betriebspartner in einer beteiligungspflichtigen Angelegenheit nicht den nach § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG vorgesehenen Versuch einer gütlichen Einigung unternommen, sondern sofort die Einigungsstelle angerufen haben. Ein Rechtsschutzbedürfnis besteht deshalb nur, wenn entweder die Gegenseite Verhandlungen über das Regelungsverlangen ausdrücklich oder konkludent verweigert hat oder mit Verständigungswillen geführte Verhandlungen gescheitert sind.

2. Eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle ist anzunehmen, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt und sich die beizulegende Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erkennbar nicht unter einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand des Betriebsverfassungsgesetzes subsumieren lässt.

3. Aus der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für den Abschluss eines Interessenausgleichs folgt nicht ohne Weiteres seine Zuständigkeit für den Abschluss eines Sozialplans. Nur wenn die im Interessenausgleich vereinbarte Betriebsänderung mehrere Betriebe erfasst und die Durchführung des Interessenausgleichs von betriebsübergreifenden, einheitlichen Kompensationsregelungen in dem noch abzuschließenden Sozialplan abhängig ist, soll diese Aufgabe dem Gesamtbetriebsrat zugewiesen sein.

4. Der Vorsitzende der Einigungsstelle ist durch das Arbeitsgericht zu bestellen, wenn sich die Betriebsparteien nicht auf eine bestimmte Person einigen konnten. Es dürfen nur unparteiische Personen bestellt werden. Sie sollen die für den konkreten Konflikt notwendige Sach- und Rechtskunde besitzen und in der Lage sein, die Betriebsparteien zu einer für beide Seiten tragfähigen Kompromisslösung zu führen.

 

Normenkette

BetrVG § 50 Abs. 1, § 74 Abs. 1 S. 2, § 76 Abs. 2; ArbGG § 100

 

Verfahrensgang

ArbG München (Entscheidung vom 08.01.2021; Aktenzeichen 31 BV 368/20)

 

Tenor

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 08.01.2021 - 31 BV 368/20 - wird (einschließlich des Widerantrags) zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Bildung einer Einigungsstelle.

Die Antragstellerin (im Folgenden Arbeitgeberin) ist ein Tochterunternehmen der global tätigen Z Group plc. und bietet Dienstleistungen im Bereich der globalen Netzwerk- und ITServices für Unternehmenskunden an. Sie unterhält in Deutschland neben dem Hauptsitz in A-Stadt weitere Standorte in Y, X, W und V mit über 700 Arbeitnehmern, wovon einige ausschließlich im Home-Office tätig sind. Der Antragsgegner ist der für alle Standorte der Arbeitgeberin gebildete Gesamtbetriebsrat mit Sitz in A-Stadt. Daneben bestehen fünf regionale, gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1b BetrVG gebildete Betriebsräte in den Regionen Nord/Ost, Mitte, West, Süd sowie der Stadt A-Stadt.

Die Arbeitgeberin plant als Teil eines globalen Transformationsprogramms ein auf drei Jahre angelegtes Restrukturierungsprogramm mit einem geplanten Personalabbau von insgesamt 326,9 Vollzeitstellen (vgl. Anlage BB 05). Im ersten Jahr sollen bis zum 31.03.2021 163,9 Vollzeitstellen gestrichen, die Standorte Y, X und W mit Konzentration auf die strategischen Standorte in A-Stadt und V bis zum 31.12.2021 geschlossen sowie alle HomeOffice- und Home-Base-Verträge zu Gunsten eines mobilen Arbeitens (Smart Working) bis zum 31.12.2021 beendet werden.

Zwischen der Arbeitgeberin und dem Gesamtbetriebsrat sowie dem Wirtschaftsausschuss fanden seit dem 23.09.2020 mehrere Informationstermine bezüglich der geplanten Restrukturierungsmaßnahmen statt (vgl. Aufstellung und Darstellung Bl. 6 ff. d. A.), in deren Verlauf die Arbeitgeberin dem Gesamtbetriebsrat zahlreiche Dokumente zur Verfügung stellte (vgl. Aufstellung Bl. 20 f. d. A.). Am 09.11./12.11.2020 wurden dem Gesamtbetriebsrat Entwürfe für einen Interessenausgleich, einen Sozialplan, eine freiwillige Betriebsvereinbarung über ein Freiwilligenprogramm und eine Gesamtbetriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten (Smart Working) übermittelt (vgl. Anlagen BB 53 ff.). Im Gespräch vom 04.12.2020 erklärte der Gesamtbetriebsrat, dass es für ihn zwei wesentliche Punkte gäbe: erstens die Dreijahresplanung vs. die Einjahresplanung und zweitens offene Fragen zu einzelnen Bereichen. Daraufhin nannte die Arbeitgeberin zwei für sie mögliche Varianten: erstens Verhandlungen über die für 2021 geplanten Restrukturierungen mit dem Ziel einer unterschriftsreifen Lösung bis zum 31.01.2021, verbunden mit Informationen über die Planungen der Jahre 2 und 3, soweit sie zur Verfügung ständen, und zwe...

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