Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wenn ein Betriebsratsmitglied, das im Rahmen eines Seminars „Aktuelle Rechtsprechung zum Arbeits- und Betriebsverfassungsrecht” an einem halbtägigen Besuch von Verhandlungen vor dem Arbeitsgericht unter dem Vorsitz eines bestimmten Kammervorsitzenden teilnimmt, während einer Verhandlungspause in dieser Kammer ein Cafe gegenüber dem Gerichtsgebäude aufsucht oder eine Güteverhandlung im Kündigungsschutzprozess eines anderen Mitarbeiters seines Arbeitgebers besucht, ist dies weder ein an sich für eine außerordentliche fristlose Kündigung geeigneter wichtiger Grund noch ein Sachverhalt, der geeigneter Anlass für einen Ausschluss aus dem Betriebsrat wäre. Dies gilt, wenn die pünktliche Rückkehr nach der Verhandlungspause in den Sitzungssaal gewährleistet ist, in dem die im Seminarplan vorgesehenen Verhandlungen stattfinden, und wenn eine solche pünktliche Rückkehr auch tatsächlich stattfindet.

2. Wenn sich dieses Betriebsratsmitglied nach Scheitern der Güteverhandlung im Kündigungsschutzprozess des anderen Mitarbeiters ungefragt an dessen Rechtsanwalt wendet und diesen darin bestärkt, einen Vergleich wegen fehlerhafter Sozialauswahl und fehlerhafter Betriebsratsanhörung abzulehnen, stellt dies zwar eine arbeitsvertragliche Loyalitätspflichtverletzung dar, die jedoch ohne vorherige Abmahnung in der Regel nicht geeignet ist, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung zu bilden.

3. Allerdings gehört eine solche ungefragte „Einmischung” in den Kündigungsschutzprozess des anderen Mitarbeiters grundsätzlich nicht zur erforderlichen Betriebsratsarbeit. Insoweit liegt eine betriebsverfassungsrechtliche Amtspflichtverletzung vor, die jedoch in der Regel bei einem erstmaligen Vorfall dieser Art nicht zum Ausschluss aus dem Betriebsrat berechtigt.

 

Normenkette

BetrVG § 103; BGB § 626; BetrVG §§ 23, 37, 2

 

Verfahrensgang

ArbG München (Beschluss vom 11.02.2010; Aktenzeichen 12 BV 149/09)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 11.02.2010 – 12 BV 149/09 – wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten um die von der zu 1 beteiligten Arbeitgeberin begehrte Ersetzung der Zustimmung des in ihrem Betrieb gebildeten Betriebsrats – des Beteiligten zu 2 –, dessen Vorsitzender seit 01.02.2011 der Beteiligte zu 3 ist, zur außerordentlichen Kündigung, die gegenüber dem zu 3 beteiligten Betriebsratsmitglied ausgesprochen werden soll, sowie um einen hilfsweise gestellten Antrag auf Ausschluss des Beteiligten zu 3 aus dem Betriebsrat.

Das zu 3 beteiligte Betriebsratsmitglied ist bei der zu 1 beteiligten Arbeitgeberin seit 01.12.1991 als kaufmännischer Angestellter beschäftigt. Der Beteiligte zu 3 besuchte vom 20.04.2009 bis 24.04.2009 ein Seminar der „ifb Institut zur Fortbildung von Betriebsräten KG” mit dem Thema „Aktuelle Rechtsprechung zum Arbeits- und Betriebsverfassungsrecht”, in dessen Rahmen der Besuch einer Gerichtsverhandlung beim Arbeitsgericht München am Vormittag des 23.04.2009 ab 9:00 Uhr stattfand. Besucht wurden – wie vorgesehen – streitige Verhandlungen der 19. Kammer des Arbeitsgerichts München. Um 10:15 Uhr befand sich der Beteiligte zu 3 im gegenüberliegenden Café. Zu diesem Zeitpunkt fand vor der 19. Kammer keine Verhandlung statt. Um 10:30 Uhr wurde die Verhandlung vor der 19. Kammer fortgesetzt. Hierbei wurden Anträge gestellt und ein Termin zur Verkündung einer Entscheidung für das Ende des Sitzungstages bestimmt. Um 10:45 Uhr suchte der Beteiligte zu 3 einen anderen Sitzungssaal auf, in dem eine Güteverhandlung in einem Kündigungsschutzprozess zwischen einem Mitarbeiter der zu 1 beteiligten Arbeitgeberin und dieser selbst verhandelt wurde. Im Anschluss an diese Güteverhandlung, in der eine gütliche Einigung zwischen den dortigen Parteien nicht zustande kam, sprach der Beteiligte zu 3 ab 11:07 Uhr mit dem Rechtsanwalt des betreffenden Mitarbeiters über diesen Fall. Der Beteiligte zu 3 sprach in diesem Rahmen die Sozialauswahl und die Betriebsratsanhörung bei der in der Gütesitzung verhandelten Kündigung des Mitarbeiters an. Der Prozessbevollmächtigte der zu 1 beteiligten Arbeitgeberin, der das Gespräch des Beteiligten zu 3 mit dem Rechtsanwalt des Mitarbeiters wahrnahm, verbat sich die Einmischung des Beteiligten zu 3. Dieser nahm am 23.04.2009 an allen Verhandlungen teil, die unter dem Vorsitz des Vorsitzenden der 19. Kammer stattfanden. Am 24.04.2009 teilte der Beteiligte zu 3 der zuständigen Mitarbeiterin der zu 1 beteiligten Arbeitgeberin per E-Mail seine Arbeitszeiten für die Woche vom 20.04.2009 bis 24.04.2009 dahingehend mit, dass er die Schulung „Aktuelle Rechtsprechung zum BetrVG …” besucht habe, unter anderem am Donnerstag von 09:00 Uhr bis 16:45 Uhr – (vormittags bis ca. 12:00 Uhr beim Arbeitsgericht München).

Die zu 1 beteiligte Arbeitgeberin beantragte mit Schreiben vom 30.04.20...

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