Entscheidungsstichwort (Thema)

Zutrittsrecht des Betriebsratsmitglieds zum Betrieb

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ist ein Betriebsratsmitglied gekündigt, begründet dies in der Regel eine Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, der es rechtfertigt, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens von einer Verhinderung an der Amtsausübung auszugehen und ein Zutrittsrecht zum Betrieb zur Ausübung des Betriebsratsamtes nach Wirksamwerden der Kündigungserklärung zu verneinen.

2. Ausnahmsweise ist nicht von einem solchen Ungewissheits-Tatbestand auszugehen, wenn die Kündigung offensichtlich unwirksam ist.

3. Der Ungewissheits-Tatbestand wird auch dann überwunden, wenn das gekündigte Betriebsratsmitglied den Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung arbeitsgerichtlich durchgesetzt hat. Nicht ausreichend ist, dass das Arbeitsgericht im ersten Rechtszug die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung festgestellt hat, ohne über den Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung zu befinden.

 

Normenkette

BetrVG §§ 25, 78, 102-103

 

Verfahrensgang

ArbG München (Beschluss vom 23.12.2010; Aktenzeichen 25 BVGa 86/10)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 3 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 23.12.2010 – 25 BVGa 86/10 – geändert:

Die Anträge des Antragstellers werden zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten über das vom Beteiligten zu 1 und Antragsteller – einem gewählten Betriebsratsmitglied – begehrte Recht auf ungehinderten Zutritt zu allen Verkaufs- und Geschäftsräumen der zu 3 beteiligten Arbeitgeberin im örtlichen Zuständigkeitsbereich des zu 2 beteiligten Betriebsrats zum Zweck der Teilnahme an dessen Sitzungen sowie zur Ausübung der Betriebsratstätigkeit im Betrieb im Übrigen.

Die zu 3 beteiligte Arbeitgeberin betreibt einen Elektrofachmarkt, in dem der zu 2 beteiligte Betriebsrat am 07.09.2010 (erstmals) gewählt wurde. Allerdings machen sowohl die Arbeitgeberin als auch die Gewerkschaft V. die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl geltend. Hierüber ist ein arbeitsgerichtliches Verfahren anhängig (Aktenzeichen der ersten Instanz: 19 BV 368/10).

Nach der Betriebsratswahl, bei der der Antragsteller als ordentliches Betriebsratsmitglied gewählt wurde, kündigte die zu 3 beteiligte Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis des Antragstellers ordentlich zum 31.08.2010. Der Antragsteller erhob gegen diese Kündigung Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht München (Aktenzeichen: 36 Ca 9799/10). In diesem Verfahren hat die zu 3 beteiligte Arbeitgeberin einen Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gestellt. Der Antragsteller des vorliegenden Verfahrens und Kläger des Kündigungsschutzverfahrens hat erstmals im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 30.11.2010 im Kündigungsschutzverfahren 36 Ca 9799/10 einen Antrag auf (vorläufige) Weiterbeschäftigung gestellt.

Das Arbeitsgericht hat im Kündigungsschutzverfahren mit Teilurteil vom 30.11.2010 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 28.07.2010 nicht aufgelöst wurde, und den Auflösungsantrag der zu 3 beteiligten Arbeitgeberin zurückgewiesen. Über den Weiterbeschäftigungsantrag hat das Arbeitsgericht nicht entschieden. Gegen das Teilurteil vom 30.11.2010 – 36 Ca 9799/10 – hat die zu 3 beteiligte Arbeitgeberin am 22.12.2010 Berufung beim Landesarbeitsgericht München eingelegt und erneut einen Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gestellt, unter anderem gestützt auf behauptete üble Nachrede und Beleidigungen durch den Antragsteller.

Mit Schreiben vom 13.12.2010 kündigte die zu 3 beteiligte Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis erneut – diesmal fristlos, hilfsweise ordentlich – nach Anhörung des zu 2 beteiligten Betriebsrats, der der Kündigung nicht zustimmte (drei Ja- und zwei Nein-Stimmen bei zwei Enthaltungen).

Die zu 3 beteiligte Arbeitgeberin lehnt jede Zusammenarbeit mit dem Antragsteller ab. Die erlaubt ihm auch in Zukunft nicht den Zutritt zum Betrieb zum Zweck der Ausübung des Betriebsratsamts, weil sie davon ausgeht, dass der Antragsteller nicht mehr Arbeitnehmer des Unternehmens und damit auch nicht mehr Betriebsratsmitglied ist.

Der Antragsteller ist der Auffassung, beide Kündigungen seien unwirksam, die zweite Kündigung – vom 13.12.2010 – offensichtlich, weil der Betriebsrat entgegen § 103 BetrVG nicht zugestimmt habe. Der Anspruch auf Zutritt zum Betrieb, mithin der Verfügungsanspruch, beruhe darauf, dass eine Behinderung wegen der Betriebsratsarbeit nach § 78 BetrVG unzulässig sei. Der Anspruch bestehe ungeachtet der Kündigung vom 28.07.2010, weil das Arbeitsgericht im Kündigungsschutzprozess die Unwirksamkeit dieser Kündigung festgestellt habe und damit der Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung der Sache nach gegeben sei. Ein Verfügungsgrund liege vor wegen der Gefahr, dass die Verwirklichung des Zutrittsrechts ohne alsbaldige Entscheidung auf längere Zeit vereitelt werde. Der Antragsteller habe die Dringlichkeit des Erlasses der begehrten einstweiligen Verfügung nicht durch s...

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