Entscheidungsstichwort (Thema)

1,5 Einigungsgebühr bei Beiordnung eines Anwalts zum gerichtlichen Vergleich im Prozesskostenhilfeverfahren. Mutwillige Rechtsverfolgung i.S.d. § 114 S. 1 ZPO. Keine Prüfung der Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung im Kostenfestsetzungsverfahren

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wenn sich die Prozesskostenbewilligung ausdrücklich auch auf einen Vergleich erstreckt, ist die Beiordnung des Anwalts bezogen auf einen Vertrag im Sinne der Nr. 1000 VV-RVG. Denn wenn die Bewilligung der Prozesskostenhilfe und die Beiordnung das gesamte Verfahren erfassen, liegt jedenfalls auch eine Beiordnung des Prozessbevollmächtigten zum Abschluss eines Vertrages nach Nr. 1000 VV-RVG vor.

2. Rechtsverfolgung kann mutwillig im Sinne des § 114 S. 1 ZPO sein, wenn eine wirtschaftlich leistungsfähige, also nicht bedürftige Partei bei sachgerechter und vernünftige Einschätzung der Prozesslage von ihr Abstand nehmen oder ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde, weil ihr ein kostengünstigerer Weg offensteht und dieser Weg genauso erfolgversprechend ist.

3. Die Frage der Mutwilligkeit kann nicht mehr im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens nach § 55 Abs. 1 RVG berücksichtigt werden. Denn mit der Bewilligung der Prozesskostenhilfe ist gleichzeitig festgestellt, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig ist.

 

Normenkette

RVG § 48 Abs. 1, 3, § 55 Abs. 1; RVG-VV Nr. 1000 Abs. 1, Nr. 1003; ZPO § 114 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Passau (Entscheidung vom 10.01.2023; Aktenzeichen 5 Ca 371/22)

ArbG Passau (Entscheidung vom 26.09.2022; Aktenzeichen 5 Ca 371/22)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 25.01.2023 werden die Beschlüsse des Arbeitsgerichtes Passau, Az.: 5 Ca 371/22, vom 10.01.2023 und vom 26.09.2022 abgeändert.

2 Die dem Beschwerdeführer aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung wird auf Euro 1708,84 (Anspruch auf weitere Vergütung nach Maßgabe des § 50 RVG: Euro 1423,24) festgesetzt.

 

Gründe

I.

In dem Verfahren geht es um die Höhe der dem Prozessbevollmächtigten des Klägers aus der Staatskasse zu erstattenden Rechtsanwaltsvergütung.

Mit Schriftsatz vom 25.05.2022 (BI. 1/9 d.A.), beim Arbeitsgericht Passau eingegangen am selben Tag, erhob der Beschwerdeführer als Prozessbevollmächtigter des Klägers für diese Klage auf Zahlung von ausstehender Vergütung für April 2022 in Höhe von 2.294,00 € brutto, eines Arbeitgeberzuschusses für Internetnutzung für April 2022 in Höhe von 50,00 € netto, eines Fahrtkostenzuschusses für April 2022 in Höhe von 168,00 € netto sowie einer Urlaubsabgeltung in Höhe von 2.202,86 € (Klageanträge 1 - 4). Mit den Klageanträgen 5 - 9 begehrte der Kläger die Erteilung mehrerer Arbeitspapiere, nämlich der Meldung zur Sozialversicherung, der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung 2022, eines Zeugnisses, einer Arbeitsbescheinigung und einer Urlaubsbescheinigung. Mit Schriftsatz vom 27.06.2022 (BI. 29/32 d.A.) machte der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Wege der Klageerweiterung ausstehende Vergütung für Mai 2022 in Höhe von 1.376,40 € brutto, einen Arbeitgeberzuschuss für Internetnutzung für Mai 2022 in Höhe von 30,00 € netto sowie einen Fahrtkostenzuschuss für Mai 2022 in Höhe von 100,80 € netto geltend. Mit gesondertem Schriftsatz vom 28.06.2022 (BI. 1/2 d. PKH-Hefts), eingegangen am selben Tag, beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Klage, für eventuelle Klageerweiterungen und für einen eventuellen Mehrvergleich nebst seiner Beiordnung. Mit Beschluss vom 29.06.2022 (BI. 36 d.A.) wurde dem Kläger antragsgemäß Prozesskostenhilfe für die Klage sowie für die Klageerweiterung und für die in einem Vergleich miterledigten Ansprüche bewilligt und der Beschwerdeführer beigeordnet. Mit Schriftsatz vom 28.07.2022 (BI. 45/48 d.A.) reichte der Klägervertreter einen Vergleichsvorschlag ein und bat um die gerichtliche Feststellung des Zustandekommens eines Vergleichs gemäß § 278 Abs. 6 ZPO. Nach Annahme des Vergleichsvorschlags durch die Beklagte mit Schriftsatz vom 28.07.2022 (BI. 49/50 d.A.) wurde mit Beschluss vom 29.07.2022 (BI. 51/53 d.A.) festgestellt, dass zwischen den Parteien durch Annahme eines schriftlichen Vergleichsvorschlages der Parteien gemäß § 278 Abs. 6 ZPO ein gerichtlicher Vergleich zustande gekommen ist. Mit Beschluss vom 01.09.2022 (BI. 66/67 d.A.) wurde der Gegenstandswert für das Verfahren für die Zeit bis zur Klageerweiterung vom 27.06.2022 auf 8.426,86 € und für die Zeit danach auf 9.934,06 € festgesetzt; der Gegenstandswert für den Vergleich wurde auf 12.552,82 € festgesetzt.

Im Parallelverfahren 5 Ca 370/22 erhob der Beschwerdeführer als Prozessbevollmächtigter der Arbeitskollegin und zugleich Ehefrau des Klägers für diese mit Schriftsatz vom 25.05.2022 ebenfalls Klage gegen dieselbe Beklagte auf Zahlung von ausstehender Vergütung für April 2022 in Höhe von 2.423,25 € brutto, eines Arbeitgeberzuschusses für Internetnutzung für April 2022 in Höhe von 50,00 € netto, eine...

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