Entscheidungsstichwort (Thema)

Abmahnpflicht vor Kündigung bei unklarer Regelung zur Nutzung eines Betriebsfahrzeugs zu privaten Zwecken. Keine Auflösung des Arbeitsverhältnisses wegen unerlaubter Privatnutzung eines Firmen-PKW. Kündigung nach zwischenzeitlicher Duldung der Privatnutzung eines Firmenfahrzeugs

 

Leitsatz (amtlich)

Hat ein Arbeitgeber in der Vergangenheit die kurzzeitige Nutzung von Firmenfahrzeugen zu privaten Zwecken nach Rücksprache mit dem Vorgesetzten gestattet und nutzt sodann ein Arbeitnehmer das Fahrzeug ohne Erlaubnis mangels Möglichkeit einer Kontaktaufnahme zum Vorgesetzten, kann es vor Ausspruch einer Kündigung erforderlich sein, diese Pflichtverletzung abzumahnen.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1; KSchG §§ 1, 9 Abs. 1 S. 2; BGB § 241 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1; StGB § 248b; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Stralsund (Entscheidung vom 11.10.2021; Aktenzeichen 12 Ca 57/21)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund (Kammern Neubrandenburg) vom 11.10.2021 - 12 Ca 57/21 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung wegen des Vorwurfs einer unerlaubten Privatnutzung eines Betriebsfahrzeugs.

Der im März 1965 geborene Kläger, der zuvor langjährig als Kfz-Schlosser tätig war, nahm am 25.07.2013 bei der Beklagten eine Beschäftigung im Hol- und Bringdienst auf. Die Beklagte erbringt für konzernangehörige Gesellschaften Dienstleistungen, wie Reinigungstätigkeiten, Transportdienste, Personenbeförderung etc. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Der Kläger bezog zuletzt eine monatliche Vergütung von € 2.100,00 brutto.

Im Hol- und Bringdienst war der Kläger dem Fuhrparkleiter, Herrn A., unterstellt. Dieser hatte dem Kläger vor einigen Jahren die private Nutzung eines Transporters für den Umzug der Schwiegermutter des Klägers gestattet.

Am 16.12.2020 fand bei der Beklagten eine Betriebsversammlung statt, an der auch der Kläger teilnahm. Im Anschluss an die Betriebsversammlung kam es zu einem anonymen Protestschreiben von Mitarbeitern. Zudem lehnten mehrere Arbeitnehmer, u. a. auch der Kläger, die Unterzeichnung eines Änderungsvertrages ab. Zum 01.02.2021 setzte die Beklagte den Kläger in den Bereich Außenanlagen um.

Am Samstag, 22.05.2021, gegen 16:30 Uhr nutzte der Kläger den Betriebstransporter Mercedes Sprinter, Baujahr 2002, mit dem amtlichen Kennzeichen xxxx-xx xx zu privaten Zwecken für den Transport eines Balkens. Er fuhr mit dem Fahrzeug eine Strecke von 10 km. Die Schlüssel zu dem Fahrzeug holte der Kläger aus einer Halle, die er mit seinem Schlüssel öffnen konnte. Die Kfz-Zulassung befand sich hinter der Sonnenblende. Ein Fahrtenbuch für den Transporter gibt es nicht. Der Kläger stellte den Transporter nach der Fahrt wieder auf dem Betriebsgelände ab, ohne ihn zu betanken.

Am Dienstag, 25.05.2021, ließ sich der Transporter nicht starten und wurde später in einer Werkstatt repariert.

Mit Schreiben vom 03.06.2021, dem Kläger am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich und hilfsweise ordentlich zum 31.08.2021 bzw. zum nächstzulässigen Termin. Der Kläger ist seit dem 03.06.2021 ununterbrochen krankheitsbedingt arbeitsunfähig.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam sei. Bis zum 22.05.2021 sei es gängige Praxis gewesen, Firmenfahrzeuge zu privaten Zwecken für einen kurzen Zeitraum nutzen zu dürfen. Der Fuhrparkleiter habe regelmäßig sein Einverständnis hierzu erteilt. Am Samstag, 22.05.2021, habe der Kläger jedoch den Fuhrparkleiter nicht fragen können, da dieser nicht im Dienst gewesen sei. Der Kläger habe den Transporter kurzfristig benötigt, um einen Stützbalken zu transportieren. Angesichts der bisherigen Praxis sei er davon ausgegangen, dass der Fuhrparkleiter keine Einwände gegen eine kurzzeitige private Nutzung erheben werde.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 03.06.2021 weder außerordentlich fristlos noch ordentlich zum 31.08.2021 beendet wird.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die außerordentliche Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe eine Straftat nach § 248b StGB zulasten der Beklagten begangen, wodurch das Vertrauensverhältnis zu ihm unwiederbringlich erschüttert sei. Zudem habe er den verbrauchten Kraftstoff nicht ersetzt. Der Kläger habe die Beklagte vorsätzlich geschädigt. Die Nutzung von Betriebsfahrzeugen zu privaten Zwecken sei untersagt. Als Fahrzeughalterin trage die Beklagte das Haftungsrisiko bei eventuellen Unfällen während der privaten Nutzung. Aufgrund des Vertrauensbruchs sei eine Abmahnung entbehrlich.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die außerordentliche Kündigung sei ebenso wie die ordentliche unwirksam. D...

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