Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist wegen dauernder Leistungsunfähigkeit durch Krankheit. Anforderungen an eine Negativprognose vor einer krankheitsbedingten Kündigung. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung. Darlegungs- und Beweislast für eine Negativprognose bei Krankheit. Langanhaltende Arbeitsunfähigkeit und dauernde Leistungsunfähigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine mit Auslauffrist ausgesprochene außerordentliche Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnisses kann gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer krankheitsbedingt auf Dauer außerstande ist, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

2. Sofern eine dauernde Leistungsunfähigkeit nicht medizinisch festgestellt ist, beispielsweise als Folge eines schweren Unfalls, bedarf es einer entsprechenden Negativprognose, die sich wiederum aus einer langanhaltenden Arbeitsunfähigkeit ergeben kann. Der Rückschluss von einer langanhaltenden Arbeitsunfähigkeit auf eine voraussichtlich dauernde Leistungsunfähigkeit ist im Regelfall erst dann möglich, wenn der Arbeitnehmer etwa 18 Monate ununterbrochen krank war.

3. Die Rechtmäßigkeit einer Kündigung ist anhand der zum Zeitpunkt des Zugangs gegebenen objektiven Verhältnisse zu beurteilen. Das gilt auch im Falle einer Kündigung, die auf eine Langzeiterkrankung gestützt wird. Die tatsächliche Entwicklung nach Kündigungsausspruch bis zum Ende der mündlichen Verhandlung kann nicht zur Bestätigung oder Korrektur der Prognose verwertet werden.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Arbeitgeber genügt seiner Darlegungslast für eine negative Prognose zunächst, wenn er die bisherige Dauer der Erkrankung und die ihm bekannten Krankheitsursachen vorträgt. Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Der Arbeitnehmer genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen.

2. Der Rückschluss von einer langanhaltenden Arbeitsunfähigkeit auf eine voraussichtlich dauernde Leistungsunfähigkeit ist im Regelfall erst dann möglich, wenn der Arbeitnehmer etwa 18 Monate ununterbrochen krank war.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1; AVR-DD §§ 30-32; ZPO § 138 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Rostock (Entscheidung vom 14.10.2021; Aktenzeichen 2 Ca 745/21)

 

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 14.10.2021 -2 Ca 745/21 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist.

Der im November 1966 geborene Kläger schloss im Jahr 1987 seine Ausbildung zum Versicherungskaufmann ab und arbeitete anschließend in diesem Beruf. 1991/92 erwarb er die Fachhochschulreife an einem Berufskolleg. Ab 1992 war er zunächst als Pflegehelfer tätig und absolvierte sodann eine Ausbildung zum Krankenpfleger, die er im Jahr 1996 abschloss. Mit dem sich daran anschließenden 4-jährigen Studium zum Religionspädagogen und Gemeindediakon erwarb er die Befähigung als Diplom-Religionspädagoge und Diakon.

Am 01.09.2001 nahm der Kläger bei dem Beklagten eine Vollzeitbeschäftigung als

"Leitender Mitarbeiter mit Verantwortung für den Fachbereich Altenhilfe, einschließlich 'Haus-Service-Ruf' und Sozialstationen"

auf. Laut Dienstvertrag vom 20.07.2001 gelten für das Dienstverhältnis die Arbeitsvertragsrichtlinien des D. W. der Evangelischen Kirche in Deutschland in der jeweils gültigen Fassung, mittlerweile umbenannt in Arbeitsvertragsrichtlinien für Einrichtungen, die der D. D. angeschlossen sind (im Folgenden xxx-xx).

Der Beklagte ist ein in G. ansässiger D. mit etwa 800 Mitarbeitern, der rund 30 soziale Dienste und Einrichtungen unterhält. Zu ihm gehören zwei hundertprozentige Tochtergesellschaften, die D. S. G. mbH sowie die I. G. GmbH.

Die Parteien schlossen am 06.04.2004 einen Änderungsvertrag, nach dem der Kläger rückwirkend zum 01.04.2004

"mit 50 % der durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Mitarbeiters als Bereichsleiter stationäre Altenhilfe und mit 50 % der durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Mitarbeiters als Qualitätsbeauftragter"

beschäftigt wird. Der Änderungsvertrag sieht eine Eingruppierung in der Vergütungsgruppe IVa Fallgruppe 19 AVR vor. Zum 01.10.2009 gruppierte der Beklagte den Kläger auf dessen Antrag hin in die Entgeltgruppe (EG) 12 AVR um. Die Höhergruppierung diente dem finanziellen Ausgleich, nachdem die Bewerbung des Klägers auf die Vorstandsposition nicht berücksichtigt worden war. Der Kläger war seinerzeit zuständig für vie...

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