Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtmäßigkeit des Zuschlags von 15 % für Nachtarbeit. Zulässige Unterschiede zwischen tariflich und im Einzelfall gerichtlichen festgelegten Höhen an Nachtarbeitszuschlägen

 

Leitsatz (amtlich)

Tarifvertraglich festgelegte Nachtarbeitszuschläge müssen nicht genauso hoch sein wie diejenigen, die im Falle fehlender tarifvertraglicher Ausgleichsregelungen einzelfallbezogen von den Arbeitsgerichten festgesetzt werden. Eine tarifliche Regelung, nach der für Nachtarbeit von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr ein Zuschlag in Höhe von 15% zu zahlen ist, verstößt weder gegen § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz noch gegen die Richtlinie 2003/88/EG.

 

Normenkette

TVG § 1; ArbZG § 6 Abs. 5; RL 88/2003/EG Art. 12; ArbZG § 2 Abs. 3, 5; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Rostock (Entscheidung vom 11.11.2020; Aktenzeichen 4 Ca 799/20)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 11.11.2020 - 4 Ca 799/20 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer tarifvertraglichen Regelung zur Höhe des Zuschlags für Nachtarbeit.

Der 1958 geborene Kläger war vom 01.11.2018 bis zum 31.12.2020 bei der Beklagten in der Produktion mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden bei einem Stundenlohn von € 10,89 brutto beschäftigt. Der Kläger arbeitete im Rahmen eines 15 Tage Schichtmodells, so dass er alle drei Wochen Nachtarbeit zu leisten hatte. Das Arbeitsverhältnis unterfiel dem (Haus-)Manteltarifvertrag der Beklagten, abgeschlossen mit der IG Metall, vom 01.11.2016 (künftig nur: MTV). Im MTV heißt es zur Nachtarbeit:

"...

§ 5 Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit

...

2. Begriff der Nachtarbeit

Nachtarbeit ist die zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr geleistete Arbeit.

...

...

§ 6 Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit

1. Höhe der Zuschläge

...

1.3 Der Nachtarbeitszuschlag beträgt 15%.

1.4 Der Spätschichtzuschlag für die Schichtzeit von 20:00 - 22:00 Uhr beträgt 10%.

1.5 Es ist nur ein Zuschlag zu zahlen. Fallen mehrere Zuschläge zusammen, so gilt der jeweils höhere Zuschlag.

...

1.7 Bei der Berechnung der Zuschläge ist der tarifliche Grundlohn zugrunde zu legen.

..."

Nach vorheriger erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung eines Nachtarbeitszuschlags in Höhe von 30 % statt 15 % hat der Kläger zunächst mit beim Arbeitsgericht Rostock am 25.09.2019 eingegangener Klage die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des Differenzbetrages für die Monate März bis Juli 2019 begehrt. Nachdem die Verfahren für folgende Monate zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden waren, standen im Kammertermin am 11.11.2020 Differenzzahlungen für die Monate Mai bis Juli, Oktober und November 2019 sowie März und April 2020 zur Entscheidung an.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass trotz der tariflichen Regelung die Angemessenheit der Nachtzuschläge im Sinne von § 6 Abs. 5 ArbZG gerichtlich überprüfbar sei. Im Rahmen der Überprüfung müsse festgestellt werden, dass Nachtarbeit gesundheitsgefährdend sei. Es sei davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien gesicherte arbeitsmedizinische Erkenntnisse bei der Ausgestaltung von Zuschlagsregelungen für Arbeit zu ungünstigen Zeiten, hier im Fall der Nachtarbeit, nicht korrekt erfasst hätten. Damit wäre die Grenze der Tarifautonomie überschritten, weshalb die arbeitsgerichtliche Kontrolle einsetze. Die tarifliche Ausgleichsregelung nach dem MTV liege mit 15 Prozentpunkten grundsätzlich unter der nach der Rechtsprechung in der Regel als angemessen angesehenen Ausgleichszahlung.

Der Ausgleich müsse auch unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes 30 % betragen. 15 % könnten für den Arbeitgeber kein Anreiz sein, Nachtarbeit in geringem Umfang vor-zusehen und damit die Gesundheitsgefahren abzuschwächen. Soweit bei Aushandlung des Tarifvertrages möglicherweise noch davon ausgegangen worden sei, dass Nachtarbeit hier lediglich in Wechselschicht, aber nicht als Dauernachtarbeit vorliege und deshalb ein Zuschlag von nur 15 % zu zahlen wäre, so sei diese Annahme nicht mit den Vorgaben des Gesundheitsschutzes vereinbar.

Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, dass die Festsetzung der Höhe von Nachtarbeitszuschlägen den Tarifvertragsparteien und nicht den Arbeitsgerichten obliege. § 6 Abs. 5 ArbZG überlasse die Ausgestaltung des Ausgleichs für Nachtarbeit den Tarifvertragsparteien, da diese mit den Verhältnissen vor Ort besser vertraut seien, und schaffe nur subsidiär einen gesetzlichen Anspruch. Den Tarifvertragsparteien seien arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse nicht unbekannt, da entsprechende Fachleute bei ihnen beschäftigt seien und bei Tarifvertragsverhandlungen hinzugezogen würden. Ohnehin könne eine einzelne Tarifnorm nicht isoliert betrachtet werden, da sie Teil eines Gesamtpakets sei, das im Ergebnis auf einem Kompromiss zu verschiedensten Regelungen beruhe. Im MTV beginne die Nachtzeit anders als nach dem Arbeitsze...

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