Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterschiedliche Zuschläge für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Mittelbare Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien. Weiter Einschätzungsspielraum der Tarifvertragsparteien bei Wahl des Mittels zum Ausgleich der Nachteile von Nachtarbeit. 5-Tage-Schichtmodell als wirksames Planungsinstrument

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Festlegung unterschiedlich hoher Nachtarbeitszuschläge im Manteltarifvertrag für die Angestellten, gewerblichen Arbeitnehmer und Auszubildenden im Kraftfahrzeuggewerbe Mecklenburg-Vorpommern vom 18.06.2013 in der Fassung vom 06.07.2017, der für regelmäßige Nachtarbeit mit mindestens 5 hintereinanderliegenden Arbeitstagen einen Zuschlag von 10 % und für unregelmäßige Nachtarbeit bei weniger als 5 hintereinanderliegenden Arbeitstagen einen Zuschlag von 25 % vorsieht, verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

2. Ob, in welchem Umfang und in welcher Weise besondere Belastungen bestimmter Beschäftigtengruppen kompensiert werden sollen, unterliegt der Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien. Die Gerichte dürfen nicht eigene Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle von Bewertungen der zuständigen Verbände setzen.

3. Nachtarbeit belastet die Gesundheit der Arbeitnehmer und erschwert die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die Tarifvertragsparteien überschreiten den ihnen zustehenden, grundrechtlich geschützten Gestaltungsspielraum nicht, wenn sie durch unterschiedliche Nachtarbeitszuschläge ein 5-Tage-Schichtmodell fördern, um den Arbeitnehmern eine bessere Planbarkeit des Familienlebens und ihrer Freizeitaktivitäten zu ermöglichen.

 

Normenkette

TVG § 1; ArbZG § 6 Abs. 5; GG Art. 3, 9 Abs. 3, Art. 1 Abs. 3; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Rostock (Entscheidung vom 16.06.2020; Aktenzeichen 1 Ca 83/20)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 16.06.2020 - 1 Ca 83/20 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe des Nachtarbeitszuschlags nach dem Manteltarifvertrag für die Angestellten, gewerblichen Arbeitnehmer und Auszubildenden im Kraftfahrzeuggewerbe Mecklenburg-Vorpommern, insbesondere über die Rechtmäßigkeit der Differenzierung zwischen regelmäßiger Nachtarbeit mit mindestens 5 hintereinanderliegenden Arbeitstagen und unregelmäßiger Nachtarbeit bei weniger als 5 hintereinanderliegenden Arbeitstagen.

Die Beklagte betreibt mehrere Autohäuser mit Werkstätten. Der im Juli 1963 geborene Kläger ist seit dem 15.07.1994 bei der Beklagten in der Niederlassung A-Stadt als Monteur für Nutzfahrzeuge beschäftigt. Im Betrieb arbeiten etwas mehr als 10 Beschäftigte regelmäßig im 3-Schicht-System. Die Nachtschicht beginnt um 22:00 Uhr und endet um 6:15 Uhr. Dieses Serviceangebot dient dazu, die Betriebsbereitschaft dringend benötigter Fahrzeuge auch nachts abzusichern, insbesondere von Fahrzeugen der Rettungsdienste, der Polizei, der Feuerwehr, von kommunalen Versorgungsunternehmen, von Bussen im öffentlichen Nah- und Fernverkehr, Kühltransportern mit verderblichen Lebensmitteln usw.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet, jedenfalls kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme, der Manteltarifvertrag für die Angestellten, gewerblichen Arbeitnehmer und Auszubildenden im Kraftfahrzeuggewerbe Mecklenburg-Vorpommern vom 18.06.2013 in der Fassung vom 06.07.2017, abgeschlossen zwischen der Tarifgemeinschaft Mitteldeutsches Kraftfahrzeuggewerbe e. V. und der IG Metall Bezirksleitung Küste, im Folgenden nur als MTV bezeichnet, Anwendung. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt derzeit 37,5 Stunden. Das monatliche Gehalt des Klägers belief sich im Oktober 2019 auf € 2.668,81 brutto nebst einer Leistungszulage in Höhe von € 102,00. Zusätzlich zu dem tarifvertraglichen Nachtarbeitszuschlag erhält der Kläger je Nachtschicht eine betrieblich festgelegte Zulage in Höhe von € 5,00.

Der MTV enthält folgende Bestimmungen:

"...

§ 4

Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit

...

2. Nachtarbeit

Nachtarbeit ist die zwischen 20.00 Uhr und 6.00 Uhr geleistete Arbeit. Endet die Nachtarbeit nach 6.00 Uhr, so ist der Nachtzuschlag bis zum Ende der Arbeitszeit zu zahlen, vorausgesetzt, dass mindestens die Hälfte der Arbeitszeit in die Nachtzeit fällt. Regelmäßige Nachtarbeit liegt vor, wenn sie mindestens 5 hintereinanderliegende Arbeitstage umfasst. Unregelmäßige Nachtarbeit liegt vor, wenn sie weniger als 5 Arbeitstage umfasst.

...

§ 5

Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit

...

3. Soweit nicht nach den gesetzlichen Bestimmungen (§ 15 Arbeitszeitordnung) Zuschlagsfreiheit besteht, sind für die Mehrarbeit, Nacht-, Sonn- und Feiertagsstunden folgende Zuschläge auf den vereinbarten Stundenverdienst zu zahlen.

...

3.4 Nachtarbeit

bei regelmäßiger Nachtarbeit

(mindestens 5 hintereinanderliegende Arbeitstage)

10 %

bei unregelmäßiger Nachtarbeit

(weniger als 5 hintereinanderliegende Arbeitstage)

25 %

...

Fallen mehrer...

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