Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Anwendbarkeit des § 222 Abs. 2 ZPO bei Berechnung der Fünf-Monats-Frist des § 66 Abs. 1 S. 2 ArbGG. Alleinige Berechnungspflicht des Rechtsanwalts bei Berufungsbegründungsfrist. Übertragung von Fristen auf geschultes und verlässliches Personal nur bei einfachen und üblichen Fristen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Berechnung der Fünf-Monats-Frist des § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG findet § 222 Abs. 2 ZPO keine Anwendung.

2. Die Feststellung und Berechnung prozessualer Fristen ist grundsätzlich Sache des mit der Prozessvertretung betrauten Rechtsanwalts. Nur wenn es sich um einfache und übliche, in der Praxis des Rechtsanwalts häufig vorkommende Fristen (Routine-Fristen) handelt, kann er sich auf die Berechnung durch gut geschultes und sorgfältig überwachtes Büropersonal verlassen.

3. Die Berechnung der Berufungsbegründungsfrist nach Ablauf der Fünf-Monats-Frist des § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ist keine einfache und übliche. Es sind zwei aufeinanderfolgende Fristen zu berechnen, wobei für die Fünf-Monats-Frist ausnahmsweise § 222 Abs. 2 ZPO nicht zur Anwendung gelangt. Die Berechnung einer solchen Frist darf der Rechtsanwalt nicht einer Angestellten überlassen.

4. Werden einem Rechtsanwalt Handakten zur Anfertigung einer Rechtsmittelschrift vorgelegt, hat er neben der Rechtsmittelfrist auch die ordnungsgemäße Notierung der zu diesem Zeitpunkt bereits feststehenden Rechtsmittelbegründungsfrist zu prüfen.

 

Normenkette

ArbGG § 66 Abs. 1; ZPO §§ 233, 222, 85 Abs. 2; BGB § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Rostock (Entscheidung vom 02.03.2020; Aktenzeichen 5 Ca 1412/19)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Teil-Urteil des Arbeitsgerichtes Rostock vom 02.03.2020 zum Aktenzeichen 5 Ca 1412/19 wird unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Hauptsache um die Rechtmäßigkeit von fünf Abmahnungen, die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 25.11.2019, welche hilfsweise als ordentliche Kündigung ausgesprochen ist, sowie Weiterbeschäftigung.

Zur näheren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat mit am 02.03.2020 verkündetem Teilurteil der Kündigungsschutzklage und dem Weiterbeschäftigungsbegehren stattgegeben.

Wegen des im streitbefangenen Teilurteil titulierten Weiterbeschäftigungsanspruchs hat der Kläger mit Antrag vom 09.04.2020 die Zwangsvollstreckung eingeleitet. Für die Beklagte haben sich in diesem Zwangsvollstreckungsverfahren die Prozessbevollmächtigten des hiesigen Berufungsverfahrens mit Schriftsatz vom 08.05.2020 gegen eine Zwangsvollstreckung aus dem Teilurteil gewandt. Am 08.06.2020 fand eine erstinstanzliche Verhandlung zum Zwangsvollstreckungsantrag statt.

Das Urteil wurde der Beklagten in vollständig abgefasster Form am 27.08.2020 zugestellt. Noch am selben Tage übersandte sie es an ihre im vorliegenden Verfahren zur Prozessführung Bevollmächtigten mit dem Auftrag zur Einlegung der Berufung. In der Rechtsmittelbelehrung zum streitbefangenen Urteil heißt es u. a.:

"...

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat ab Zustellung dieses Urteils schriftlich beim Landesarbeitsgericht eingegangen sein und binnen zwei Monaten schriftlich begründet werden.

Beide Fristen beginnen mit dem Tag der Zustellung des vollständig abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach Urteilsverkündung."

Mit Schriftsatz vom 27.08.2020, am 27.08.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangen, hat die Beklagte Berufung gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 02.03.2020 zum Aktenzeichen 5 Ca 1412/19 eingelegt und diese mit am 05.10.2020 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage begründet.

Mit am 14.10.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Antrag vom selben Tage begehrt die Beklagte die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumnis der Berufungsbegründungsfrist.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages tragen die Beklagtenvertreter vor, nach Erteilung des Auftrages zur Einlegung der Berufung an sie am 27.08.2020 sei die Frist zur Berufungsbegründung versehentlich auf den 05.10.2020 durch die zuverlässige Assistentin F. notiert worden. Die Kontrolle und Richtigkeit der Fristenberechnung erfolge durch eine ausgebildete und gut geschulte Rechtsanwaltsfachangestellte. Eine Weiterleitung an diese sei in der vorliegenden Angelegenheit durch Frau F. versehentlich unterblieben. Bei Frau F. handele es sich um eine stets zuverlässige Kraft.

Die Beklagte treffe somit kein Verschulden an der verspäteten Berufungsbegründung. Vor Auftragserteilung bezüglich des Berufungsverfahrens am 27.08.2020 habe keine Veranlassung zur Eintragung irgendwelcher mit dem Berufungsverfahren im Zusammenhang stehender Fristen bestanden. Es sei daher am 02.08.2020, dem Zeitpunkt des Ablauf...

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