Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame außerordentliche Verdachtskündigung eines Betriebsratsmitglieds wegen Entsorgung dienstlicher Unterlagen in einer privaten Altpapiertonne. Unbegründeter Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin bei unzureichender Würdigung entlastender Umstände

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Verdachtskündigung sind an die Darlegung der schwerwiegenden Verdachtsmomente besonders strenge Anforderungen zu stellen.

Im Falle einer Verdachtskündigung, die sich auf den Vorwurf stützt, der Arbeitnehmer habe dienstliche Unterlagen in einer privaten Altpapiertonne entsorgt, hat der Arbeitgeber nicht nur die den Arbeitnehmer belastenden, sondern auch die ihn entlastenden Indizien zu würdigen. Dies gilt umso mehr, wenn der dem Verdacht zugrundeliegende Sachverhalt eine sehr lange Zeit zurückliegt.

 

Normenkette

BetrVG § 103; BGB § 626 Abs. 1; BetrVG § 103 Abs. 1-2; KSchG § 15

 

Verfahrensgang

ArbG Schwerin (Entscheidung vom 16.11.2017; Aktenzeichen 2 BV 14/17)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Schwerin vom 16.11.2017 (2 BV 14/17) wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Ersetzung einer Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes.

Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1. unterhält einen Krankenhausbetrieb in A-Stadt. Der Antragsgegner und Beteiligte zu 2. ist der bei der Beteiligten zu 1. für diesen Betrieb gebildete Betriebsrat. Die Beteiligte zu 3. ist Arbeitnehmerin und Mitglied des Betriebsrates des Beteiligten zu 2. Im Nachfolgenden wird die Antragstellerin und Beteiligte zu 1. als "Arbeitgeberin", der Beteiligte zu 2. als "Betriebsrat" und die Beteiligte zu 3. als "Arbeitnehmerin" bezeichnet.

Die Arbeitnehmerin wurde 1975 geboren und ist seit 2006 bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Seit Januar 2013 ist sie Oberärztin in der Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und ist als solche vollzeitig beschäftigt. Sie erzielte im Jahre 2016 ein Jahresbruttogehalt von 121.822,70 €, welches sich aus einem Grundgehalt in Höhe von 7.300,00 € brutto im Monat zuzüglich Zuschlägen für Sonntagsarbeit, Samstagsarbeit, Mehrarbeit, Schichtdienst, Bereitschaftsdienst und Nachtarbeit zusammensetzt. Durchschnittlich erzielte die Arbeitnehmerin während ihrer Tätigkeit bei der Beklagten im Jahr 2016 damit ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 10.151,89 €. Die Arbeitnehmerin wurde im Mai 2014 zum Betriebsratsmitglied gewählt und im Mai 2018 wiedergewählt.

Nach den Arbeits- und Änderungsverträgen findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der Tarifvertrag Ärzte Helios in der jeweils gültigen Fassung nebst der diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge Anwendung. Mit in den Arbeitsvertrag einbezogen ist auch die Dienstanweisung Nummer 3/1996 in der zweiten Neufassung aus dem Jahre 2008, welche den Umgang mit Krankenakten aller Art unter Berücksichtigung digitalisierter Akten regelt (Blatt 56 ff der Akte).

Mit Schreiben vom 26.06.2016 (Blatt 9 - 11 der Akte) hat die Arbeitgeberin den Betriebsrat - nach vorheriger Anhörung der Arbeitnehmerin - wegen dringenden Verdachtes einer schwerwiegenden Pflichtverletzung schriftlich zur außerordentlichen Kündigung der Arbeitnehmerin angehört und um Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung gebeten. Im Schreiben heißt es zur Begründung, soweit vorliegend von Interesse:

"Am Mittwoch, den 14. Juni 2017 übergab Frau T. E. dem Geschäftsführer der HELIOS Kliniken A-Stadt, Herrn G., die bereits in der Anhörung von Frau Dr. E. an den Betriebsrat in Kopie mit Heftstreifen zusammengefügten Kopien. Frau T. E. gab kund, sie habe diese Unterlagen lose liegend an einem Tag vor etwa 1 1/2 Jahren in der zu ihrer Wohnung gehörigen "blauen Tonne" gefunden.

Frau T. E. wohnt in der E-Straße.

Die von Frau E. vorgelegten Unterlagen enthalten Fotos von zwei Patienten, von fünf Patienten Sonographien teilweise mit Befunden vermerkt auf einem Formular "Sonografischer Lymphknotenbefund" der Klinik für Mund-, Kiefer und Gesichtschirurgie", von sechs Patienten die durchgeführten ärztlichen Maßnahmen und von neun Patienten die Termine für eine Patientenvorstellung. Das Formular "Sonografischer Lymphknotenbefund" ist teilweise mit der Unterschrift von Frau Dr. E. versehen, die als Oberärztin in der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie ist. Auch Frau Dr. E. wohnt in der E-Straße.

Die von Frau E. vorgelegten Unterlagen enthalten zudem Unterlagen, die eindeutig Frau Dr. E. zuzuordnen sind, ein Gesprächsprotokoll zu einem Gespräch zwischen Frau Dr. E. und Herrn Prof. Dr. Dr. B. und Urlaubsanträge von Frau Dr. E..

(...)

Frau Dr. E. (gab) an, die Unterlagen nicht in der Tonne abgelegt zu haben.

(...)

Aufgrund des dargestellten Sachverhalts bestehe der dringende Verdacht, dass Frau Dr. E. die Unterlagen in der "blauen Tonne" abgelegt hat. Aus der Tatsache, dass die Dokumente an einem Tag in der Tonne gefunden wurden, ergibt sich die überwiege...

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