Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung. Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Pflegefachkraft wegen des Verdachts der Übermittlung von Trauerkarten an eine missliebige Kollegin

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Verdacht, dass eine Arbeitnehmerin eine von ihr verfasste Trauerkarte anonym an eine Kollegin übermittelt hat, kann nicht auf ein schriftvergleichendes Gutachten gestützt werden, wenn der Sachverständige lediglich zu dem Ergebnis kommt, dass die Arbeitnehmerin "mit hoher Wahrscheinlichkeit" die Urheberin der Trauerkarte sei und nicht sämtliche in Betracht kommenden Arbeitnehmer in die Untersuchung einbezogen worden sind. Dies ist insbesondere nicht deshalb entbehrlich, weil der Sachverständige bereits eine "hohe Wahrscheinlichkeit" der Urheberschaft festgestellt hat.

 

Normenkette

BetrVG § 103 Abs. 2 S. 1; KSchG § 15 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Bochum (Entscheidung vom 16.02.2016; Aktenzeichen 2 BV 36/15)

 

Tenor

  1. Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bochum vom 16.02.2016 - 2 BV 36/15 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
 

Gründe

A.

Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes.

Antragstellerin des vorliegenden Beschlussverfahrens ist die Arbeitgeberin, die als Wohlfahrtsverband insgesamt 59 Seniorenzentren betreibt, darunter das S-B-Seniorenzentrum in C. Im S-B-Seniorenzentrum sind durchschnittlich etwa 140 bis 150 Beschäftigte tätig; pro Schicht ca. 60 Mitarbeiter. Der Antrag der Antragstellerin richtet sich gegen den im S-B-Seniorenzentrum (im Folgenden: Seniorenzentrum) gewählte Betriebsrat (Beteiligter zu 2.; im Folgenden: Betriebsrat). Sie beabsichtigt die außerordentliche Kündigung des Betriebsratsmitgliedes Frau L (Beteiligte zu 3.).

Frau L ist seit dem 01.08.1995 bei der Arbeitgeberin als Pflegefachkraft beschäftigt. Sie ist mit einem GdB von 30 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt und zugleich Vertrauensfrau der Schwerbehinderten.

Im Seniorenzentrum war etwa seit der letzten Septemberwoche 2014 als Wohnbereichsleiterin Frau Q beschäftigt. In der Zeit von Freitag, den 17.10.2014, 17.00 Uhr, bis Montag, den 20.10.2014, 7.00 Uhr, wurde in das Postfach der Wohnbereichsleiterin im Seniorenzentrum eine Trauerkarte eingelegt, die mit einem schwarzen Trauerflor versehen war, mit den außen aufgedruckten Worten "In stiller Trauer" sowie mit den handschriftlichen Eintragungen "für Dich (bist die nächste)". Wegen des Originals dieser Trauerkarte wird auf den Inhalt der Hülle Bl. 20 d.A.Bezug genommen. Frau Q erstattete Strafanzeige gegen Unbekannt; das von der Polizei eingeleitete Ermittlungsverfahren blieb ergebnislos.

Der Betriebsrat nahm diesen Vorfall zum Anlass, den innerbetrieblichen Aushang vom 24.10.2014 zu veranlassen, der auch von der Beteiligten zu 3) unterzeichnet war. In diesem Aushang wies der Betriebsrat auf die bezeichnete Trauerkarte hin, bezeichnete dies als Mobbing und untragbar für alle im Betrieb Beschäftigten. Wegen des Aushangs wird auf die Kopie Bl. 63 und 64 d.A. Bezug genommen.

Ein Aufruf der Arbeitgeberin vom 29.10.2014, der Verfasser der Karte möge sich bei der Einrichtungsleitung melden, blieb ohne Erfolg.

Die Wohnbereichsleiterin erhielt im Januar 2015 eine weitere Trauerkarte, die an das Seniorenzentrum zu ihren Händen gerichtet war. Einen Text enthielt diese Karte nicht; der Umschlag war mit schwarzen Trauerbändern versehen. Am 16.02.2015 kündigte die Wohnbereichsleiterin ihr Arbeitsverhältnis selbst.

Erst Mitte März 2015 erfuhr die Arbeitgeberin von der Wohnbereichsleitung von der Einstellung der polizeilichen Ermittlungen, woraufhin sie nach Erhalt der Trauerkarte aus Oktober 2014 einen Sachverständigen für forensische Schriftuntersuchung beauftragte. Der Gutachter erhielt von der Arbeitgeberin verschiedene Schriftproben, z.B. Handschriften in Pflegedokumenten, von denen die Arbeitgeberin ausging, sie würden überhaupt für eine Urheberschaft in Betracht kommen. Schriftstücke der Beteiligten zu 3. waren auch darunter. Das Gutachten wurde unter dem 12.08.2015 erstellt. Der Gutachter stellte dar, dass - ausgehend von in einer Schriftexpertise üblichen Bewertungsskala - die Schrift auf der Trauerkarte aus Oktober 2014 "mit hoher Wahrscheinlichkeit von ein und demselben Schreiber" stammte, von dem die Schriftproben vorgelegt wurden, die von der Beteiligten zu 3. als Schreibleistung erbracht wurde. Dabei wies der Gutachter darauf hin, dass es oberhalb der Kategorie "mit hoher Wahrscheinlichkeit" noch die Kategorien "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit" und "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" gebe. Wegen des Gutachtens im Einzelnen wird auf die zur Akte gereichte Fotokopie Bl. 21 ff. d.A. Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 20.08.2015 bat die Arbeitgeberin die Beteiligte zu 3. zu einem persönlichen Gespräch für den 24.08.2015 unter dem H...

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