Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifvertrag. Auslegung. Kündigungsfrist. Verkürzung durch Tarifvertrag. Recht zur außerordentlichen Kündigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 11 TV Ang Ausland regelt nicht einen Fall der entfristeten ordentlichen Kündigung im Sinne des § 622 Abs. 4 Satz 1 und 2 BGB, sondern ist als Regelung einer außerordentlichen Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu verstehen. Der wichtige Grund ist daher an den Anforderungen des § 626 BGB zu messen.

2. Die in § 11 TV Ang + Ausland enthaltene Kündigungsmöglichkeit – einseitig zu den genannten Bedingungen für den Arbeitgeber – verstößt gegen § 622 Abs. 6 BGB n. F.

3. Die Auflösung einer Dienststelle oder wesentliche Einschränkung des Dienstbetriebes stellen keinen wichtigen Grund i.S.d. § 626 BGB dar.

 

Normenkette

TV AngAusl § 11

 

Verfahrensgang

ArbG Bonn (Entscheidung vom 05.04.2000; Aktenzeichen 4 Ca 3332/99)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 05.04.2000 – 4 Ca 3332/99 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

(abgekürzt nach § 543 ZPO)

Die Parteien streiten vor dem Landesarbeitsgericht noch um den Kündigungstermin aus Anlass der betriebsbedingten Kündigung der Beklagten vom 29.11.1999, der Klägerin zugegangen am 30.11.1999.

Die Klägerin war seit dem 28.07.1964 bei der Beklagten als Ortskraft im G. in S./U. beschäftigt gegen ein monatliches Bruttogehalt von zuletzt durchschnittlich 6.548,00 DM. Im Arbeitsvertrag der Klägerin ist die Geltung des jeweils für das A. A. maßgebenden Tarifvertrages zur Regelung der Arbeitsbedingungen der bei den Auslandsvertretungen beschäftigten deutschen nicht entsandten Angestellten (TVAng Ausland) vereinbart.

Die durch die Beklagte ausgesprochene Kündigung ist wegen Schließung des G. in S. zum 31.12.1999 erfolgt und wurde von der Beklagten mit einer Auslauffrist per 31.12.1999 erklärt.

Die Beklagte stützt sich hierbei auf § 11 TVAng Ausland in dem es in Absatz 1 heißt:

Der Arbeitgeber ist berechtigt, das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen, wenn eine in § 1 genannte Dienststelle aufgelöst oder ihr Dienstbetrieb wesentlich eingeschränkt wird.

Die Klägerin hat die nach § 11 Abs. 2 TVAng Ausland ihr zustehende Abfindung aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten.

Wegen des übrigen erstinstanzlichen unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 543 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.11.1999 erst zum 30.06.2000 sein Ende gefunden hat.

Das Arbeitsgericht hat in der Regelung in § 11 Abs. 1 keine Festlegung zur Verkürzung der gesetzlichen Kündigungsfrist gemäß § 622 Abs. 4 BGB gesehen. Eine derartige Regelung könne nämlich nur angenommen werden, wenn im Tarifvertrag selbst die entfristete ordentliche Kündigung und gerade keine wichtigen Gründe im Sinne des § 626 BGB geregelt würden. Vorliegend hätten die Tarifvertragsparteien den Begriff der außerordentlichen Kündigung gewählt. Dieser Begriff sei zwar gesetzlich nicht verankert, werde aber in Literatur und Rechtsprechung in der Regel synonym für die fristlose Kündigung aus wichtigem Grund verwendet. Insofern fehle es bei der Verwendung des Begriffs „außerordentliche Kündigung” an einem eindeutigen Hinweis der Tarifvertragsparteien gerade nicht einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB, sondern vielmehr eine entfristete ordentliche Kündigung nach § 622 Abs. 4 BGB vereinbaren zu wollen.

Das Recht zur fristlosen Kündigung könne aber weder vertraglich noch tarifvertraglich über das gesetzliche Maß hinaus erweitert werden. Eine Ausweitung des durch § 626 BGB gesetzten Rahmens verstoße gegen die in § 622 BGB zwingend festgelegten Mindestkündigungsfristen.

Danach sei für die streitbefangene Kündigung als betriebsbedingte Kündigung aus wichtigem Grund die Einhaltung einer sozialen Auslauffrist geschuldet, die der ordentlichen Kündigungsfrist entspreche, die dem Arbeitnehmer zustehen würde, soweit er nicht gemäß § 53 BAT unkündbar wäre. Dies führe im Arbeitsverhältnis der Klägerin dazu, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten nicht vor Ablauf des 30.06.2000 habe beendet werden können.

Gegen dieses der Beklagten am 11.07.2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte unter dem 10.08.2000 Berufung eingelegt und die Berufung nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 10.10.2000 am 02.10.2000 begründet.

Die Beklagte macht geltend, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Kündigung gemäß § 11 Abs. 1 TVAng Ausland erfüllt seien. Der Hinweis des Arbeitsgerichts, es fehle an eindeutigen Hinweisen dafür, dass die Tarifvertragsparteien in § 11 TVAng Ausland eine entfristete ordentliche Kündigung vereinbart hätten sei unzutreffend.

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folge nach ständiger Rechtsprechung des BAG den für die Auslegung vo...

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