Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsübergang. Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft. Umgehung. Befristung

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 613a Abs. 1 BGB bezweckt insbesondere den Erhalt des sozialen Besitzstands der von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer sowie die Gewährung eines lückenlosen Bestandsschutzes. Eine dem Normzweck zuwiderlaufende Vertragsgestaltung, die zielgerichtet der „personellen Bereinigung” des Betriebs zum Zweck des anschließenden Betriebsübergangs dient, stellt eine Umgehung des § 613a Abs. 1 BGB dar und ist gemäß § 134 BGB rechtsunwirksam.

2. Eine solche Gesetzesumgehung liegt bei einer Vertragsgestaltung vor, nach der

  • ○ sämtliche Arbeitnehmer ihr Arbeitsverhältnis zum Betriebsveräußerer im Wege eines dreiseitigen Vertrages einvernehmlich beenden, ohne Unterbrechung ein befristetes Arbeitsverhältnis mit einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft vereinbaren und gleichzeitig vier verbindliche Vertragsangebote zum Abschluss eines (unterschiedlich lange befristeten) Arbeitsvertrages mit dem Erwerber (Vertragsbeginn: 30 Minuten nach Eintritt in die Transfergesellschaft) abgeben;
  • ○ in einem vor Vollzug des Betriebsübergangs abgeschlossenen Tarifvertrag festgelegt wird, dass von rund 1600 Arbeitnehmern des Veräußerers bei dem Erwerber zum Zeitpunkt des Erwerbs 1132 Arbeitnehmer unbefristet und 400 Arbeitnehmer befristet beschäftigt werden;
  • ○ der Erwerber die vorherige Beendigung der Arbeitsverhältnisse zur Bedingung der Übernahme der Betriebsmittel gemacht hat, weil eine Fortführung des Betriebes mit der gesamten Belegschaft bei einem Eintritt in alle Arbeitsverhältnisse nach § 613a BGB aus seiner Sicht nicht möglich sei.

3. Geht ein Arbeitsverhältnis gemäß § 613a Abs. 1 BGB auf den Betriebserwerber über, scheidet eine spätere sachgrundlose Befristung beim Erwerber nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG aus.

 

Normenkette

BGB §§ 613a, 134; TzBfG § 14

 

Verfahrensgang

ArbG Siegburg (Urteil vom 11.11.2009; Aktenzeichen 3 Ca 1897/09)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 25.10.2012; Aktenzeichen 8 AZR 574/11)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 11.11.2009 – 3 Ca 1897/09 G – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Befristung und den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses.

Der Kläger war bei der A GmbH (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin) bzw. deren Rechtsvorgängern im Betrieb in B bis zum 31.05.2008 tätig. Die Insolvenzschuldnerin beschäftigte dort ca. 1600 Arbeitnehmer.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 01.04.2007 wurde über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter führte den Geschäftsbetrieb zunächst fort und versuchte in der Folgezeit den Betrieb zu veräußern. Am 21.03.2008 schloss er mit der Beklagten, die seinerzeit noch als N mbH firmierte, einen Kaufvertrag über die Betriebsmittel der Insolvenzschuldnerin. Dieser Kaufvertrag stand ursprünglich u.a. unter der sog. Closing-Bedingung, dass sämtliche Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin an den hier maßgeblichen Standorten dem Insolvenzverwalter ein unwiderrufliches Angebot auf Abschluss eines dreiseitigen Vertrages zur Aufhebung des Arbeitsvertrages mit der Insolvenzschuldnerin und zum Abschluss eines Arbeitsvertrages mit der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft unterbreiten. Am 31.05.2008 – wenige Minuten vor dem geplanten Erwerb – wurde der Vertrag einvernehmlich ergänzt und eine geringfügige Abweichung von der vorgenannten 100%-Quote vereinbart. Einen Tag vorher, am 30.05.2008, hatte der Insolvenzverwalter die Arbeitsverhältnisse der 64 Arbeitnehmer, die bis zu diesem Zeitpunkt den dreiseitigen Vertrag noch nicht unterzeichnet hatten, fristlos gekündigt. Ebenfalls am 31.05.2008 bestätigten der Insolvenzverwalter und die N mbH, dass die vorgenannten Kaufverträge über alle wesentlichen Vermögensgegenstände der Insolvenzschuldnerin vollzogen werden (Bl. 97 d. A.).

Bereits zuvor hatte die Beklagte, wiederum noch als N mbH firmierend, am 12.03.2008 mit dem Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie NRW und der IG Metall Bezirksleitung NRW einen Betriebs- und Beschäftigungssicherungstarifvertrag (BTV) abgeschlossen. Nach der Vorbemerkung zu diesem BTV beabsichtigt die Beklagte, Vermögensgegenstände der in der Insolvenz befindlichen Insolvenzschuldnerin zu erwerben. Als Voraussetzung für den Vollzug der Transaktion wird u.a. die aktive Unterstützung und Erbringung von Sanierungsbeiträgen der IG Metall und der Arbeitnehmervertreter ausdrücklich benannt. § 3 BTV legt fest, dass die Beklagte zum Zeitpunkt des Erwerbs 1.132 unbefristete und 400 befristete Arbeitnehmer (inkl. der Auszubildenden) in dem streitbefangenen Betrieb beschäftigen wird.

Ebenfalls rund einen Monat vor dem Vollzug des Kaufvertrages hatte der Insolvenzverwalter am 28.04.2008 mit dem Betriebsrat und der IG Metall eine zugleich ...

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