Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonderzahlungen. Einzelhandel NRW. Nachwirkung. allgemein-verbindlicher Tarifvertrag. Verfallfrist. Verbandsaustritt, Überbrückungsfunktion. Anforderungen an qualifiziertes Bestreiten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Nachwirkung von bis zu ihrem Außerkrafttreten allgemeinverbindlichen tariflichen Normen ergreift auch diejenigen Arbeitsverhältnisse, auf die der Tarifvertrag nur kraft seiner Allgemeinverbindlichkeit anwendbar war.

2. In solchen Fällen führt ein Verbandsaustritt des Arbeitgebers während des Nachwirkungszeitraums nicht zur Beendigung der Nachwirkung.

3. Eine die Nachwirkung beendende „andere Abmachung” i.S.v. § 4 Abs. 5 TVG ist nur eine solche, die auf das konkrete Arbeitsverhältnis der Parteien tatsächlich Anwendung findet.

4. Behauptet der Arbeitnehmer, dem Arbeitgeber ein Einschreiben mit einem bestimmten Inhalt übermittelt zu haben, und wird der Zugang eines Einschreibens mit der angegebenen Posteinlieferungsnummer unstreitig, kann der Arbeitgeber sich nicht darauf beschränken, den behaupteten Inhalt des Einschreibens zu bestreiten. Ein hinreichend qualifiziertes Bestreiten i.S.v. § 138 ZPO liegt nur dann vor, wenn der Arbeitgeber angibt, welchen anderen als den vom Arbeitnehmer behaupteten Inhalt das Einschreibens gehabt haben soll.

 

Normenkette

TVG § 4; ZPO § 138

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Urteil vom 03.11.2006; Aktenzeichen 5 Ca 4954/06)

 

Tenor

Auf die Berufungen des Klägers und der Beklagten hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 03.11.2006 in Sachen 5 Ca 4954/06 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 943,53 EUR brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.06.2006 und darüber hinaus weitere 1.007,65 EUR brutto zu zahlen.

Die weitergehenden Berufungen des Klägers und der Beklagten werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 30 % und die Beklagte 70 % zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche auf eine tarifliche Sonderzahlung für die Kalenderjahre 2003 bis 2006.

Der Kläger war vom 01.04.1994 bis zum 30.04.2006 bei dem beklagten Einzelhandelsunternehmen als Lagerist beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund fristgerechter arbeitgeberseitiger betriebsbedingter Kündigung. Hierüber verhält sich ein in dem Vorverfahren Arbeitsgericht Köln – 16 Ca 11732/05 – am 13.01.2006 abgeschlossener gerichtlicher Vergleich.

In Ziffer 2 des Anstellungsvertrages der Parteien vom 14.03.1994 ist Folgendes bestimmt:

„Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach den Bestimmungen des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel NRW und den diesen ergänzenden oder ersetzenden Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung sowie den abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen.”

Auf den vollständigen Inhalt des Arbeitsvertrages (Bl. 4 – 7 d. A.) wird Bezug genommen.

Für die Einzelhandelsbranche in Nordrhein-Westfalen galt unter anderem der Tarifvertrag über Sonderzahlungen (Urlaubsgeld und Sonderzuwendung) vom 20.09.1996. Dieser Tarifvertrag trat aufgrund seiner Kündigung zum 31.01.2000 außer Kraft. Er war für die Zeit bis zu seinem Außer-Kraft-Treten für allgemeinverbindlich erklärt worden. Ein neuer, bislang nicht für allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag über Sonderzahlungen (Urlaubsgeld und Sonderzuwendung) wurde erst am 10.02.2006 für die Zeit ab 01.01.2006 abgeschlossen.

Die Beklagte war zunächst Mitglied im Einzelhandelsverband Nordrhein e. V., welcher als Arbeitgeberverband den Tarifvertrag über Sonderzahlungen (Urlaubsgeld und Sonderzuwendung) vom 20.09.1996 sowie die für die Einzelhandelsbranche Nordrhein-Westfalens bestimmten Manteltarifverträge abgeschlossen hatte. Zum 31.12.2002 trat die Beklagte aus dem Einzelhandelsverband NRW aus.

Gemäß Abschnitt B § 1 Abs. 1 TV Sonderzahlungen 1996 belief sich die tarifliche Sonderzuwendung auf 62,5 % des individuell dem anspruchsberechtigten Arbeitnehmer zustehenden Tarifentgeltes. Das Tarifentgelt des Klägers betrug am 31.01.2000 1.612,24 EUR brutto.

Für die Jahre 2001 und 2002 zahlte die Beklagte an den Kläger Jahressonderzuwendungen/Weihnachtsgeld in unterschiedlicher, jeweils aber übertariflicher Höhe, dabei zumindest für das Jahr 2001 unter ausdrücklichem Freiwilligkeitsvorbehalt. Für die Jahre 2003 und 2004 zahlte die Beklagte jeweils 400,00 EUR. Für das Jahr 2005 zahlte die Beklagte keine Jahressonderzuwendung/kein Weihnachtsgeld. Zu Weihnachten 2006 verteilte die Beklagte anstelle einer Sonderzuwendung/eines Weihnachtsgeldes zu Weihnachten Warengutscheine im Werte von 300,00 EUR, allerdings nicht an den bereits zuvor aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Kläger.

Mit Schreiben vom 02.04.2004 hatte der Kläger seinen Anspruch auf das „tarifliche Weihnachtsgeld” des Jahres 2003 schriftlich geltend gemacht, mit Schreiben vom 03.01.2005 den entsprechenden Anspruch für das Jahr 2004 (vgl. Bl. 8 f. d. A.). Den Anspruch für das Kalenderjahr 2005 machte für den Kläger die Gewe...

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