Entscheidungsstichwort (Thema)

außerordentliche Kündigung, Kündigungsgrund: heimliches Aufzeichnen von Personalgesprächen. Kein Zustimmungserfordernis durch den Vertrauensmann der schwerbehinderten Menschen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das heimliche Aufzeichnen von Personalgesprächen ist als erheblicher Arbeitsvertragsverstoß anzusehen, der das Vertrauen in die Redlichkeit des Arbeitnehmers so ernsthaft stört, dass vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung eine Abmahnung entbehrlich ist, da eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausscheidet.

2. Zur Wirksamkeit der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen bedarf es nicht der Zustimmung des Vertrauensmannes der schwerbehinderten Menschen. Dem Vertrauensmann der schwerbehinderten Menschen ist eine derartige Aufgabenstellung zur Wahrnehmung nicht zugewiesen.

 

Normenkette

BGB § 626; SGB IV § 96

 

Verfahrensgang

ArbG Bonn (Urteil vom 30.06.2010; Aktenzeichen 2 Ca 957/10 EU)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 19.07.2012; Aktenzeichen 2 AZR 989/11)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 30.06.2010 – 2 Ca 957/10 EU – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte, einen vom Kläger geltend gemachten Weiterbeschäftigungsantrag sowie einen Antrag des Klägers auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses.

Die im Rechtsstreit weitergehend geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung von Arbeitsentgelt aus Annahmeverzug hat der Kläger durch Erklärung zu Protokoll der Kammersitzung vom 18.05.2011 vor dem Landesarbeitsgericht zurückgenommen. Die Beklagte hat in diese teilweise Klagerücknahme eingewilligt.

Der 1968 geborene Kläger ist verheiratet und desweiteren 2 Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet. Er ist seit April 1998 als Gärtner beim Beklagten beschäftigt gegen eine durchschnittliche monatliche Bruttovergütung von 2.800,00 EUR. Der Kläger ist zu 70 % in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert und war im Zeitpunkt des Ausspruchs der streitbefangenen Kündigung seit März 2004 der Vertrauensmann der schwerbehinderten Menschen im Dezernat des Beklagten.

Der Kläger ist anlässlich seiner Einstellung beim Beklagten am 01.04.2008 im Rahmen einer Verpflichtung nach § 1 Abs. 1 Ziffer 1 des Gesetzes über die förmliche Verpflichtung nicht beamteter Personen unter anderem auf die Strafvorschrift des § 201 StGB (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes) hingewiesen worden.

Die Beklagte kündigte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 19.04.2010 fristlos und zwar sowohl als Tat- als auch als Verdachtskündigung. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 22.04.2010 beim Arbeitsgericht Bonn eingegangenen Klage.

Die Beklagte stützt die Kündigung darauf, dass sie dem Kläger vorwirft, am 16.08.2006 in der Dienststelle des Beklagten im Freilichtmuseum K heimlich Gespräche mit Hilfe eines Aufnahmegeräts aufgezeichnet zu haben. Sie stützt die Kündigung desweiteren auf den dringenden Verdacht, dass der Kläger von weiteren von seinem damaligen Kollegen E. vorgenommenen heimlichen Aufzeichnungen vertraulicher Gespräche mittels Aufzeichnungsgeräts in den Jahren 2007 und 2008 Kenntnis gehabt habe.

Die Umstände die zum Ausspruch der streitbefangenen Kündigung geführt haben wurden ausgelöst durch ein Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 05.02.2010, welches beim Beklagten am 09.02.2010 eingegangen ist. Im Zusammenhang mit einem gegen den ehemaligen Arbeitnehmer E. geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens teilte die Staatsanwaltschaft Köln dabei mit, dass Audiodateien beschlagnahmt worden seien. Die Beklagte beantragte Akteneinsicht und ließ nach Zustimmung der Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 09.02.2010 die Akten am 23.02.2010 abholen. Die Aktenauswertung am 24.10.2010 ergab, dass die Seiten 311 bis 315 fehlten. Die fehlenden Seiten erhielt die Beklagte unter dem 02.03.2010.

Nach Aktenstudium gelangte die Beklagte zu der Auffassung, dass das Anhören der Audiodateien erforderlich sei. Es wurde von der Staatsanwaltschaft allerdings nur den von den Aufzeichnungen betroffenen Mitarbeitern gestattet.

Am 24.03.2010 hörte sich der Mitarbeiter der Beklagten, T. B., die Tondateien an und unterrichtete danach den Beklagten über deren Inhalt. Außerdem erstattete der Mitarbeiter B Strafanzeige gegen den Kläger. Gleichzeitig hat die Beklagte Strafanzeige erstattet.

Die Beklagte stützt die Kündigung darauf, dass sich aus den beschlagnahmten Audiodateien ergebe, dass der Kläger am 16.08.2006 mit einem Aufnahmegerät, welches er sich von seinem damaligen Kollegen E. ausgeliehen hatte, heimlich insgesamt 3 dienstliche Gespräche aufgenommen habe. Die Beklagte macht zudem geltend, dass die Tonbandmitschnitte des früheren Arbeitskollegen E. belegten, dass der Kläger auch von dessen 3 Aufzeichnungen am 06.05., 14.05. und 21.05.2008 gewusst habe. An diesen Gesprächen war der Kl...

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