Entscheidungsstichwort (Thema)

Darlegungs- und Beweislast des Insolvenzverwalters für Scheingeschäft. Umkehr der Beweislast beim Arbeitnehmer bei Vorliegen erheblicher Zweifel an realem Arbeitsverhältnis. Rückzahlung von Entgelt an Insolvenzmasse wegen Arbeitsvertrag als Scheingeschäft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Rahmen der Insolvenzanfechtung trägt grundsätzlich der Insolvenzverwalter die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die die Annahme eines Scheingeschäfts bedingen sollen.

2. War die beklagte Ehegattin des Geschäftsführers aber nie im Betrieb, war sie vertraglich mit einer Schwester-Gesellschaft des insolventen Unternehmens in gleicher Weise gebunden, hatte sie keine eigene dienstliche Telefonnummer, keine Arbeitsplatzbeschreibung, keinen zugewiesene Arbeitsbereich und gibt es keine namentlich benennbaren Mitarbeiter des insolventen Unternehmens, die von einer Arbeitsentfaltung der Beklagten berichten können und hat die Beklagte das Rentenalter bereits weit überschritten und erhielt sie bei alledem in den vergangenen vier Jahren knapp 100.000,00 EUR jährlich als Arbeitseinkommen abgerechnet, dann ist es nach § 138 Abs. 2 ZPO an ihr, konkrete Tatsachen vorzutragen, aus denen sich ihre Behauptung ergeben soll, bei der vorgelegten Arbeitsvertragsurkunde handele es sich nicht um die Dokumentation eines unwirksamen Scheingeschäfts.

 

Normenkette

BGB §§ 134, 117; ZPO § 138; InsO §§ 134, 129, 143; ZPO § 91 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Siegburg (Entscheidung vom 08.10.2020; Aktenzeichen 5 Ca 550/20)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 08.10.2020 – 5 Ca 550/20 – abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 388.578,72 EUR zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.12.2017.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Rahmen der Insolvenzanfechtung über die Rückzahlung von Entgelt zur Insolvenzmasse.

Der Kläger ist auf der Grundlage des Eröffnungsbeschlusses des Amtsgerichts Bonn vom 01.12.2017 – 98 IN 139/17 – der Insolvenzverwalter über das Vermögen der T GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Das Unternehmen der Schuldnerin produzierte Wasch- Putz- und Reinigungsmittel, zu dessen Großkunden namenhafte SB-Discounter, Drogerien sowie Vollsortimenter des Einzelhandels in Deutschland gehörten. Es hatte seinen Ursprung in einem im Jahre 1977 gegründeten Einzelunternehmen des Herrn Adolf Günter T , dem Ehemann der Beklagten. Nach einem Gesellschafterbeschluss vom 22.08.2014 und einem Verschmelzungsvertrag vom 28.07.2016 entstand die Schuldnerin in ihrer letzten Form. Der Ehemann der Beklagten war Alleingesellschafter sowie Geschäftsführer der Schuldnerin. Die Schuldnerin beschäftigte zuletzt 394 Arbeitnehmer, zu denen acht Familienangehörige des Herrn T gehörten.

Seit dem Jahre 1978 bestand zwischen der Beklagten und ihrem Ehemann, später der Schuldnerin, ein tatsächliches oder vermeintliches Arbeitsverhältnis. Es existieren jedenfalls zwei Vertragsurkunden vom 05.01.1978 und vom 11.02.2004. Ob mit diesen Urkunden tatsächlich ein Arbeitsverhältnis begründet bzw. geändert worden ist oder ob nicht vielmehr ein Scheinarbeitsverhältnis vorliegt, ist zwischen den Parteien streitig. Jedenfalls seit dem Jahre 2013 wurde die Beklagte buchhalterisch durchgehend als kaufmännische Angestellte mit der Personalnummer 1 geführt. In der Zeit vom 04.09.2013 bis zum 04.09.2017 bezog sie von der Schuldnerin ein Arbeitsentgelt in Höhe der Klageforderung, d.h. in Höhe von insgesamt 388.578,72 EUR. Das entspricht einem Jahresgehalt in Höhe von rund 97.000,00 EUR. Mit Schreiben vom 27.12.2017 kündigte der Kläger das (vermeintliche) Arbeitsverhältnis zum 31.03.2018.

Neben dem hier streitgegenständlichen tatsächlichen oder vermeintlichen Arbeitsverhältnis zwischen der Beklagten und der Schuldnerin bestand noch ein weiteres tatsächliches oder vermeintliches Arbeitsverhältnis zwischen der Beklagten und einer hundertprozentigen Tochter der Schuldnerin, nämlich der niederländischen To B.V. Die Einkünfte aus diesem zweiten tatsächlichen oder vermeintlichen Beschäftigungsverhältnis sind weder Gegenstand der Forderung des Klägers noch Gegenstand des Klage- oder Berufungsverfahrens. Das Verhältnis der Beklagten zur To B.V. spielt allenfalls eine Rolle bei der Frage, ob und in welchem Umfang die Beklagte Arbeitsleistungen für die Schuldnerin erbrachte oder überhaupt erbringen konnte.

Mit der seit dem 13.02.2020 beim Arbeitsgericht Siegburg anhängigen Klage hat der Kläger die Rückzahlung der von der Insolvenzschuldnerin an die Ehegattin des Geschäftsführers als Gehaltszahlungen geleisteten Beträge nebst Verzugszinsen begehrt.

Der Kläger hat behauptet, dass den Gehaltszahlungen an die Beklagte keine Arbeitsleistung gegenüberstehe und nach dem Verständnis der Vertragspartner auch nicht gegenüberstehen solle. Vielmehr seien die Zahlungen als verschleierte Schenkung zu betracht...

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