Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsübergang. Aufhebungsvertrag. Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft. Umgehungsgeschäft. Umgehung der Schutzfunktion der rechtlichen Regelungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es kann eine Umgehung des nach § 613 a BGB bezweckten Schutzes der Arbeitnehmer vorliegen, wenn bei einem Betriebsübergang die beschäftigten Arbeitnehmer durch Veräußerer und Erwerber veranlasst werden, gleichzeitig zu vereinbaren

a. die Aufhebung des mit dem Veräußerer bestehenden unbefristeten Arbeitsverhältnisses und die befristete Einstellung bei einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft, und

b. den Abschluss eines befristeten Arbeitsverhältnisses mit dem Erwerber, das zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem auch die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses mit dem Veräußerer und die befristete Einstellung bei der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft wirksam werden sollen.

2. Die Übernahme wird den beschäftigten Arbeitnehmern “verbindlich in Aussicht„ gestellt, wenn die geplante Fortführung des Betriebs ohne Unterbrechung nur mit der ganz überwiegenden Zahl der Stammarbeitnehmer möglich ist.

3. Die Bestandschutzregelungen des § 613 a BGB finden auch im Insolvenzverfahren uneingeschränkt Anwendung und stehen weder von den Voraussetzungen noch von den Rechtsfolgen her zur Disposition der Tarifvertragsparteien und/oder der Betriebsparteien.

 

Normenkette

BGB § 613a

 

Verfahrensgang

ArbG Siegburg (Entscheidung vom 28.10.2011; Aktenzeichen 4 Ca 526/11)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 28.10.2011

- 4 Ca 526/11 G - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte nach § 613 a BGB in das zwischen dem Kläger und der Automotive Group I GmbH (im Weiteren: I ) bestehende Arbeitsverhältnis eingetreten ist und deshalb die im Arbeitsvertrag zwischen den Parteien getroffene Befristungsabrede unwirksam ist.

Der Kläger war unbefristet als Arbeitnehmer bei der I in deren Werk in B beschäftigt, die u. a. Karosserie- und Fahrwerkskomponenten sowie Überroll-Schutzsysteme für die Automobilindustrie produzierte. Über das Vermögen der I , die neben dem Betrieb B einschließlich der dazugehörigen Betriebsstätten in D und M auch einen Betrieb in H unterhielt, wurde am 1. April 2007 das Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwalt S zum Insolvenzverwalter bestellt (im Weiteren: Insolvenzverwalter).

Die Beklagte ist wie die I ein Unternehmen der Automobilzulieferindustrie. Sie wurde nach Abschluss des Gesellschaftsvertrages am 19. Februar 2008 mit Eintragung in das Handelsregister zum 25. Februar 2008 errichtet, und zwar zunächst mit der Firma "N mbH". Sie nahm danach ihre Erwerbstätigkeit auf.

Durch am 21. März 2008 mit dem Insolvenzverwalter abgeschlossenen Kaufvertrag erwarb sie Betriebsmittel der I . Der Kaufvertrag stand ursprünglich u. a. unter der sog. Closing-Bedingung, dass sämtliche im Betrieb B einschließlich der dazugehörigen Betriebsstätten in D und M beschäftigten Arbeitnehmer der I (100 %-Quote) mit dem Insolvenzverwalter und der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft M GmbH aus R einen 3-seitigen Vertrag schlossen, der die Aufhebung des Arbeitsvertrages mit der I und den Abschluss eines Arbeitsvertrages mit der M GmbH beinhaltete, und dass die diesen Vertrag unterzeichnenden Arbeitnehmer zugleich der Beklagten bis zum 1. Juni 2008 4 unwiderrufliche Vertragsangebote auf Abschluss eines Arbeitsvertrages unterbreiteten (unbefristeter Arbeitsvertrag und befristete Arbeitsverträge über 12, 20 und 32 Monate).

Am 31. Mai 2008 - kurz vor dem geplanten Erwerbszeitpunkt - wurde der Vertrag einvernehmlich ergänzt und eine geringfügige Abweichung von der 100 %-Quote vereinbart. An diesem Tag bestätigten der Insolvenzverwalter und die N mbH, dass die Kaufverträge über alle wesentlichen Vermögensgegenstände der I vollzogen würden. Am Tag zuvor, dem 30. Mai 2008, hatte der Insolvenzverwalter die Arbeitsverhältnisse der 64 Arbeitnehmer, die bis zu diesem Zeitpunkt den 3-seitigen Vertrag noch nicht unterzeichnet hatten, fristlos gekündigt.

Bereits am 12. März 2008 hatte die N mbH mit dem Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie NRW und der IG Metall Bezirksleitung NRW einen Betriebs- und Beschäftigungssicherungstarifvertrag (BTV) abgeschlossen. Ausweislich der Vorbemerkung zu diesem BTV bestand die Absicht der N mbH, Vermögensgegenstände der insolventen I zu erwerben, wobei u. a. der Vollzug von der aktiven Unterstützung und Erbringung von Sanierungsbeiträgen seitens der Arbeitnehmer abhing. Nach § 3 BTV sollten zum Erwerbszeitpunkt in dem Betrieb B einschließlich dazugehöriger Betriebsstätten in D und M sowie in dem Betrieb H insgesamt 1532 Arbeitnehmer beschäftigt werden, davon 1132 unbefristet und 400 befristet (einschließlich der Ausbildenden), wobei - nach Erklärung der Personalleiterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 7. März 2012 - auf H 15 un...

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