Entscheidungsstichwort (Thema)

Tendenzschutz in einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen

 

Leitsatz (amtlich)

Der Tendenzschutz eines gemeinsamen Betriebes mehrerer Unternehmen, von denen nur eines ein Tendenzunternehmen ist, bestimmt sich danach, ob in dem Gemeinschaftsbetrieb überwiegend Tendenzzwecke verfolgt werden.

 

Normenkette

BetrVG § 106 Abs. 1, § 118 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Aachen (Entscheidung vom 29.11.2016; Aktenzeichen 4 BV 38/16)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 19.11.2019; Aktenzeichen 7 ABR 3/18)

 

Tenor

  1. Die Beschwerde des Betriebsrates gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 29.11.2016 - 4 BV 38/16 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Wideranträge des Betriebsrates werden zurückgewiesen.
  3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über die Bildung eines Wirtschaftsausschusses nach § 106 BetrVG.

Die Beteiligten zu 1.) und 2.) unterhalten in A -B eine stationäre und ambulante Einrichtung der medizinischen Rehabilitation als gemeinsamen Betrieb im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG. Weitere Betriebe unterhalten die Beteiligten zu 1.) und 2.) jeweils nicht.

In dem genannten gemeinsamen Betrieb sind insgesamt 234 Arbeitnehmer beschäftigt; von diesen stehen 214 in einem Arbeitsverhältnis zur Beteiligten zu 1.), die verbleibenden 20 in einem Arbeitsverhältnis zur Beteiligten zu 2.). Für den gemeinsamen Betrieb ist ein Betriebsrat gebildet; bei diesem handelt es sich um den Beteiligten zu 3.) - im Folgenden: der Betriebsrat. In dem Gemeinschaftsbetrieb besteht jedenfalls seit 1987 ein Wirtschaftsausschuss.

Im Dezember 2013 beschloss die Gesellschafterversammlung der Beteiligten zu 1.) eine Änderung des Unternehmensgegenstandes. Im Gesellschaftsvertrag ist seither geregelt, dass die Beteiligte zu 1.) "ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige und mildtätige Zwecke im Sinne des Abschnitts "Steuerbegünstigte Zwecke" der Abgabenordnung" (verfolgt) und "Zweck der Gesellschaft (...) die Förderung der Krankenpflege sowie des Wohlfahrtswesens (ist)". Seit Mai 2014 ist die Beteiligte zu 1.) steuerrechtlich - erstmals - als gemeinnützig anerkannt. Die Beteiligte zu 2.) war auch zuvor nicht steuerrechtlich als gemeinnützig anerkannt.

Mit Wirkung zum 01.10.2015 übernahm die i AG 68,8% der Anteile an der Beteiligten zu 1.) und 100% der Anteile an der Beteiligten zu 2.).

In der Folge lehnte die Geschäftsführung der Beteiligten zu 1.) und 2.) Auskunftsbegehren des Wirtschaftsausschusses mit dem Hinweis darauf ab, dass die Beteiligte zu 1.) (nunmehr) ein Tendenzunternehmen im Sinne des § 118 BetrVG und ein Wirtschaftsausschuss nicht zu errichten sei.

Mit am 22.07.2016 beim Arbeitsgericht eingegangener Antragsschrift haben die Beteiligten zu 1.) und 2.) die Feststellung der Nichtigkeit des Wirtschaftsausschusses begehrt.

Sie haben behauptet, dass die Beteiligte zu 1.) rein karitativen Zwecken diene und deshalb Tendenzschutz im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG genieße. Die Beteiligte zu 1.) verfolge keine Gewinnerzielungsabsicht, eine ggf. umsatzorientierte Betätigung diene nur der Kostendeckung. Dieser Tendenzschutz - so haben die Beteiligten zu 1.) und 2.) gemeint - erstrecke sich auf den Gemeinschaftsbetrieb insgesamt mit der Folge, dass § 106 BetrVG keine Anwendung finde. Anderenfalls werde der Tendenzschutz ausgehöhlt.

Die Beteiligten zu 1.) und 2.) haben beantragt,

festzustellen, dass die Bildung eines Wirtschaftsausschusses in den Unternehmen der Beteiligten zu 1.) und 2.) nichtig ist.

Der Betriebsrat hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Betriebsrat hat geltend gemacht, dass die Beteiligte zu 1.) gar kein Tendenzunternehmen sei. Abzustellen sei nicht auf die steuerliche Privilegierung und auch nicht auf den Gesellschaftsvertrag. Entscheidend seien die tatsächlichen Gegebenheiten, nach denen die Beteiligte zu 1.) eine profitorientierte Unternehmensstruktur aufweise. Dies könne aber - so hat der Betriebsrat gemeint - offen bleiben, da ein etwaiger Tendenzschutz der Beteiligten zu 1.) sich nicht auf die Beteiligte zu 2.) erstrecke. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts könne ein tendenzneutrales Unternehmen keinen Tendenzbetrieb unterhalten. Dem entsprechend könne die Beteiligte zu 2.) keinen Tendenzbetrieb führen und Tendenzschutz sei für den von ihr mitbetriebenen Gemeinschaftsbetrieb ausgeschlossen. Dem stehe nicht entgegen, dass die Beteiligte zu 2.) mit 20 Arbeitnehmern nicht den Schwellenwert des § 106 BetrVG überschreite; hierfür komme es allein auf die Zahl der im Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer an. Da der Wirtschaftsausschuss jedenfalls seit 1987 bestehe, sei es darüber hinaus treuwidrig, sich auf die Nichtigkeit seiner Errichtung zu berufen.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag der Beteiligten zu 1.) und 2.) durch Beschluss vom 29.11.2016 stattgegeben und die Nichtigkeit der Bildung des Wirtschaftsausschusses in den Unternehmen der Beteiligten zu 1.) und 2.) festgestellt.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht zunächst festgestellt, das...

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