Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung. Betriebsratswahl

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein erfolgreiches Anfechtungsverfahren hat – im Gegensatz zur Feststellung der Nichtigkeit – keine rückwirkende Kraft. Bis zur Rechtskraft eines arbeitsgerichtlichen Beschlusses über die Anfechtbarkeit einer Betriebsratswahl ist der gewählte Betriebsrat mit allen Rechten und Pflichten im Amt. Dies hat zur Folge, dass dieser Betriebsrat gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 BetrVG zur Bestellung des Wahlvorstandes verpflichtet ist. Dies führt dazu, dass bei einer Bestellung des Wahlvorstandes durch die Betriebsversammlung ein Verstoss gegen wesentliche Wahlvorschriften vorliegt, der nach § 19 Abs. 1 BetrVG zur Anfechtung berechtigt.

2. Es besteht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass ein Verstoß gegen Wahlvorschriften das Wahlergebnis beeinflusst hat. Vorliegend kann nicht ausgeschlossen werden. dass bei den Ermessungsentscheidungen, die der Wahlvorstand zu treffen hat, die fehlerhafte Bestellung mit einen Einfluss hat und damit auch das Ergebnis der Wahl nicht unberührt lässt (BAG vom 14.09.1988 – 7 ABR 93/87).

3. Bei der Bestellung des Wahlvorstandes handelt es sich gemäß § 16 BetrVG um eine zwingende Vorschrift und eine Pflicht des Betriebsrates, der er nachzukommen hat und die er nicht auf die Betriebsversammlung delegieren kann.

 

Normenkette

BetrVG §§ 13, 16

 

Verfahrensgang

ArbG Aachen (Beschluss vom 19.10.2010; Aktenzeichen 1 BV 18/10 h)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 2. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 19.10.2010 – 1 BV 18/10 h – wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

I. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl des Beteiligten zu 2.

Die Antragstellerin betreibt in W ein Krankenhaus mit einem angeschlossenen Alten- und Pflegeheim. Sie beschäftigt derzeit ca. 170 Arbeitnehmer. Antragsgegner und Beteiligter zu 2. ist der aufgrund der Betriebsratswahl vom 19.02.2010 gewählte Betriebsrat.

Im August 2006 hatte sich nach erstmaliger Wahl im Betrieb der Antragstellerin ein Betriebsrat gebildet, der nach Absinken der erforderlichen Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG neu gewählt werden musste.

Die Neuwahl fand am 12.02.2008 statt. Diese wurde in drei Instanzen erfolgreich durch die antragstellende Arbeitgeberseite angefochten. Die erstinstanzliche Entscheidung des Arbeitsgerichts Aachen (3 BV 5/08 h) erging am 05.08.2008. Diese wurde in der Beschwerdeinstanz bestätigt durch die Entscheidung des LAG Köln (9 TaBV 15/09) vom 08.07.2009. Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 7 ABN 82/09 wurde am 20.01.2010 zurückgewiesen.

Am 30.07.2009 hat die Gewerkschaft ver.di im Anschluss an die zweitinstanzliche Entscheidung des LAG Köln zu einer Betriebsversammlung eingeladen, auf der ein Wahlvorstand gewählt wurde, der am 19.02.2010 eine Betriebsratswahl durchführte. Bei dieser Wahl wurde ein Wahlzettel verwendet, auf dem 2 Listen zur Wahl standen, der jedoch 3 Kreise mit einer Ankreuzmöglichkeit vorsah. Das unter dem 19.02.2010 bekanntgegebene Wahlergebnis stellte fest, dass bei 107 abgegebenen Stimmen 97 gültig und 10 ungültig waren und hierbei auf die Liste 1 45 Stimmen und auf die Liste 2 52 Stimmen entfielen. Von den 10 ungültigen Stimmzetteln enthielten 7 ein Kreuz bei der Ankreuzmöglichkeit der tatsächlich nicht vorhandenen und nicht zur Wahl stehenden Liste 3.

Das mit Wahlniederschrift vom 19.02.2010 festgestellte Wahlergebnis wurde der antragstellenden Arbeitgeberseite mit Schreiben des Wahlvorstandes vom 19.02.2010, eingegangen am 22.10.2010, bekanntgegeben.

Am 06.03.2010 hat die Antragstellerin vor dem Arbeitsgericht Aachen das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet und die Wahlanfechtung erklärt.

Die Antragstellerin hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, dass die Wahl nichtig sei, da ein grober und offensichtlicher Verstoß gegen wesentliche Wahlregeln vorliege. Die Wahl habe außerhalb des regelmäßigen Wahlzeitraums stattgefunden, ohne dass eine der Ausnahmeregelungen des § 13 Abs. 2 BetrVG vorgelegen habe. Die erfolgreiche Anfechtung der Betriebsratswahl vom 12.02.2008 habe erst aufgrund des Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts vom 20.01.2010 festgestanden.

Jedenfalls sei die Wahl aber unwirksam, weil wesentliche Vorschriften des Wahlverfahrens und über das Wahlrecht nicht eingehalten worden seien. So ist der Wahlvorstand bereits nicht von dem Betriebsrat sondern von der Wahlversammlung bestellt worden. Zudem hätte die Mitarbeiterin M-V gewählt, obwohl diese nicht hätte wählen dürfen, da deren Arbeitsverhältnis am 13.07.2009 und vorsorglich am 07.08.2009 und äußerst vorsorglich am 17.02.2010 außerordentlich und fristlos gekündigt worden war. Schließlich sei der Wahlzettel missverständlich gewesen, was zu den ungültigen Stimmen geführt habe und es hätten Mitarbeiter eine Briefwahl durchgeführt, die am Wahltag nicht verhindert gewesen seien. Diese Verstöße hätten das Wahlergebni...

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