Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachwirkung einer vom Betriebsrat gekündigten Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeitgestaltung und Einführung eines flexiblen Arbeitszeitmodells. Verteilung der arbeitsvertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeit auf die einzelnen Arbeitstage

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeitflexibilisierung durch Führung von Arbeitszeitkonten in einem Betrieb, der nach Kündigung der Betriebsvereinbarung durch den einköpfigen Betriebsrat betriebsratslos geworden ist. Die klagenden Arbeitnehmer lehnen eine Nachwirkung ab, während der Arbeitgeber die Betriebsvereinbarung weiterhin anwendet.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Haben die Vertragsparteien im Arbeitsvertrag lediglich die wöchentliche, nicht jedoch die arbeitstägliche Arbeitszeit vertraglich festgelegt, so lässt sich hieraus kein Anspruch auf eine tägliche Mindestarbeitszeit herleiten.

2. Hat der (einköpfige) Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung (hier: zur Arbeitszeitgestaltung und Einführung eines flexiblen Arbeitszeitmodells) gekündigt und ist der als Betriebsrat fungierende Arbeitnehmer anschließend aus dem Betrieb ausgeschieden, ohne dass ein neuer Betriebsrat gewählt wurde, so ist von einer Nachwirkung der Betriebsvereinbarung auszugehen. Denn Regelungen einer Betriebsvereinbarung gelten auch nach ihrem Ablauf solange weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Das bedeutet, dass die Betriebsvereinbarung keine zwingende Wirkung mehr beanspruchen kann, dass ihre Regelungen aber bis zu einer ablösenden Vereinbarung weiterhin gelten.

 

Normenkette

BetrVG § 77 Abs. 6

 

Verfahrensgang

ArbG Dortmund (Entscheidung vom 10.09.2015; Aktenzeichen 3 Ca 643/15)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 20.02.2018; Aktenzeichen 1 AZR 361/16)

 

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 10.09.2015 - 3 Ca 643/15 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt jeder Kläger zu 1/7.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, die Kläger mindestens 7,8 Stunden arbeitstäglich zu beschäftigen, sowie über die Anwendbarkeit einer Betriebsvereinbarung.

Die Kläger vereinbarten mit der Beklagten eine Wochenarbeitszeit von 39 Stunden.

Sie sind als Fahrer beschäftigt. Bei der Beklagten sind drei weitere Fahrer tätig.

Am 11.02.2014 erließ die betriebliche Einigungsstelle einen Spruch zu einer Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeitgestaltung und Einführung eines flexiblen Arbeitszeitmodells (Bl. 4 bis 5 d. A.). Nach § 2 der Betriebsvereinbarung bestimmt sich die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit der Kraftfahrer nach den individuellen Arbeitsverträgen. Die Arbeitszeit wird auf fünf Wochentage verteilt. § 3 der Betriebsvereinbarung enthält Regelungen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit und § 4 zur Dienstplangestaltung. Nach § 4 (Schlussbestimmungen) trat die Betriebsvereinbarung am 01.03.2014 in Kraft und konnte mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende gekündigt werden. Sie wirkt nach dem Spruch in allen Bestandteilen nach.

Bei der Beklagten bestand zum Zeitpunkt des Einigungsstellenspruchs ein einköpfiger Betriebsrat. Dieser kündigte die Betriebsvereinbarung am 15.02.2014 zum 31.05.2014 und schied danach aus seinem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten aus. Die Beschäftigten wählten keinen neuen Betriebsrat.

Mit Schreiben vom 20.02.2014 (Bl. 6, 7 d.A.) vertrat die Beklagte gegenüber allen Mitarbeitern die Auffassung, die Betriebsvereinbarung sei weiterhin anzuwenden, da sie nachwirke.

Mit Schreiben vom 09.12.2014 (Bl. 9 d.A.) machten die Kläger geltend, die Beklagte müsse sie arbeitstäglich 7,8 Stunden beschäftigen

Mit ihren am 13.02.2015 bei dem Arbeitsgericht Dortmund eingegangenen Klagen haben die Kläger zunächst die Feststellung begehrt, dass die Betriebsvereinbarung seit Juni 2014 keine Nachwirkung entfaltet. Mit am 13.05.2015 bei dem erstinstanzlichen Gericht eingegangenem Schriftsatz haben sie ihre Klage geändert und verlangt, die Beklagte zu verurteilen, sie an jedem Arbeitstag mindestens 7,8 Stunden zu beschäftigen und ihre Mehrarbeitsstunden mit der Abrechnung für denjenigen Monat, in dem sie tatsächlich erbracht wurden, abzurechnen und zu vergüten.

Sie haben die Auffassung vertreten, die Betriebsvereinbarung vom 11.02.2014 wirke nicht nach.

Sie haben behauptet:

Die Beklagte setze sie in völlig unterschiedlichen und willkürlich langen Schichten ein. Zum Teil beschäftige sie sie nur wenige Stunden täglich, während an anderen Arbeitstagen eine Arbeitszeit deutlich über 7,8 Stunden hinaus verlangt werde. Es sei des Öfteren vorgekommen, dass sie erst bei Arbeitsantritt darüber informiert worden seien, dass sie am jeweiligen Tag nicht eingesetzt würden. Teilweise seien sie nach nur zwei Stunden Arbeitszeit wieder nach Hause geschickt worden.

Ihre Probleme hätten damit begonnen, dass die Beklagte von ihren Mitarbeitern den Abschluss neuer Arbeitsverträge verlangt habe, die sie finanziell ungünstiger gestellt hätten. Alle Mitarbeiter ...

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