Entscheidungsstichwort (Thema)

Beendigung bestehender Arbeitsverhältnisse mit Erreichen der Regelaltersgrenze durch Betriebsvereinbarung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Betriebsparteien sind aus § 88 BetrVG befugt, durch Betriebsvereinbarung zu bestimmen, dass die im Betrieb bestehenden Arbeitsverhältnisse mit Erreichen der Regelaltersgrenze für den Bezug der gesetzlichen Altersrente enden.

2. Haben die Arbeitsvertragsparteien sich bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses lediglich über die Art der Beschäftigung und die Höhe des Arbeitsentgelts geeinigt, steht das Günstigkeitsprinzip einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine solche Betriebsvereinbarung nicht entgegen.

3. Die Betriebsparteien sind unter Beachtung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes regelmäßig gehalten, bei Einführung einer solchen Betriebsvereinbarung eine Übergangsregelung für rentennahe Arbeitnehmer zu schaffen. Die Einzelheiten sind von ihnen zu regeln und können nicht geltungserhaltend durch eine gerichtliche Entscheidung bestimmt werden. Jedoch darf die Einführung von Altersgrenzen durch eine Betriebsvereinbarung in keinem Fall dazu führen, dass ein Arbeitsverhältnis mit einer kürzeren Frist endet, als dies unter Beachtung der gesetzlichen Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 2 BGB der Fall sein könnte.

4. Das ordnungsgemäße Zustandekommen einer Betriebsvereinbarung kann jedenfalls dann nicht mit Nichtwissen nach § 138 Abs. 4 ZPO bestritten werden, wenn der klagende Arbeitnehmer selbst zum fraglichen Zeitpunkt Mitglied des Betriebsrates war. Dies gilt auch dann, wenn er sich bei der Beschlussfassung über die Betriebsvereinbarung in Urlaub befunden hat.

 

Normenkette

BetrVG § 77 Abs. 3, § 75 Abs. 1, § 88; ZPO § 138 Abs. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Detmold (Entscheidung vom 02.07.2014; Aktenzeichen 2 Ca 13/14)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 21.02.2017; Aktenzeichen 1 AZR 292/15)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 02.07.2014 - 2 Ca 13/14 - abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch eine Befristung durch die Betriebsvereinbarung vom 15.08.2013 zum 31.12.2013 beendet wurde.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtstreits.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer durch Betriebsvereinbarung geregelten Altersgrenze.

Der 1948 geborene Kläger wurde zum 08.05.1969 vom der Beklagten als Betriebsschlosser auf Grundlage eines mündlichen Arbeitsvertrags, in dem lediglich die Art der Beschäftigung und der Arbeitslohn geregelt wurden, eingestellt. Der Kläger erzielte zuletzt ein durchschnittliches Bruttomonatsentgelt in Höhe von 3.357,65 Euro. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit die tariflichen Bestimmungen der kunststoffverarbeitenden Industrie im Kreis Lippe Anwendung.

Am 27.08.2013 unterschrieb der Vorsitzende des im Betrieb der Beklagten gebildeten Betriebsrats eine von der Beklagten vorgelegte und von dieser unter dem 15.08.2013 unterzeichnete "Betriebsvereinbarung Nr.3/2013" (BV 3/13). Darin heißt es u.a.:

Präambel

Die Betriebsparteien gegen davon aus, dass das Ausscheiden von rentenbezugsberechtigten ArbeitnehmerInnen (aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit nachfolgend: Arbeitnehmer) zur Gewährleistung einer ausgewogenen Altersstruktur der Belegschaft beiträgt, die Einstellungschancen von jüngeren Arbeitnehmern fördert und eine sichere Personalplanung ermöglicht.

Zur Erreichung dieser beschäftigungspolitischen Ziele treffen die Betriebsparteien folgende Vereinbarung:

§ 1 Geltungsbereich

Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle angestellten und gewerblichen Arbeitnehmer in deren derzeitigen Betriebsstätten im Geltungsbereich der Tarifverträge der kunststoffverarbeitenden Industrie im Kreis Lippe.

§ 2 Beendigung bzw. Ruhen von Arbeitsverhältnissen

Mit Inkrafttreten dieser Betriebsvereinbarung gelten für alle Arbeitnehmer folgende Regelungen:

1. Das Arbeitsverhältnis endet ohne Kündigung mit Ablauf des Monats, in dem der Arbeitnehmer die Altersgrenze für eine Regelaltersrente in der gesetzlichen Rentenversicherung (derzeit §§ 35, 235 SGB VI) ohne Abschläge erreicht hat und diese auch durch einen ihm zustehenden Anspruch beziehen kann, unabhängig davon, ob ein entsprechender Rentenantrag bereits gestellt wurde.

...

6. Ausgenommen von den vorstehenden Regelungen sind Arbeitnehmer, deren Weiterbeschäftigung über das Datum der Rentenbezugsberechtigung hinaus bereits vor Inkrafttreten dieser Betriebsvereinbarung vertraglich vereinbart ist.

7. In den Fällen, in denen die Voraussetzungen in § 2 Ziff. 1 zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Betriebsvereinbarung bereits erfüllt sind, und die Ausnahmeregelung in Ziff. 6 nicht zutrifft, endet das Arbeitsverhältnis zum Ende des Folgemonats nach dem der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber über diese Betriebsvereinbarung und die Altersgrenze schriftlich informiert worden ist und aufgefordert worden ist, einen Rentenantrag zu stellen.

....

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