Die Revision wird zugelassen

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung der sog. Neumasseverbindlichkeiten i.S.v. § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO von den sog. Altmasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. InsO

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 208 InsO) eintretende Vollstreckungsverbot aus § 210 InsO, erfasst nur die in § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO geregelten Masseverbindlichkeiten (sog. Altmasseverbindlichkeiten). Daraus folgt im Umkehrschluss: Verbindlichkeiten im Sinne von § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO (sog. Neumasseverbindlichkeiten) sind grundsätzlich weiterhin mit der Zahlungsklage zu verfolgen. Hiervon ist eine Ausnahme dann zu machen, wenn der Insolvenzverwalter mit Recht einwendet, die Insolvenzmasse genüge auch nicht zur vollständigen Tilgung der Neumasseverbindlichkeiten (weitere Masseunzulänglichkeit). Der Rechtsschutz des Neumassegläubigers ist nur in einem solchen Falle auf die Erhebung einer Feststellungsklage beschränkt.

2. Das nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 208 InsO) eintretende Vollstreckungsverbot erfasst nur die in § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO geregelten sog. Altmasseverbindlichkeiten. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die sog. Neumasseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 209 Abs. 2 Nrn. 1-3 InsO mit ihrer Fälligkeit grundsätzlich aus der Insolvenzmasse zu befriedigen sind. Der Rang einer Forderung auf Arbeitsentgelt als Alt – oder Neumasseverbindlichkeit wird durch die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu treffenden Entscheidung des Insolvenzverwalters bestimmt, ob er das Arbeitsverhältnis unverzüglich kündigt oder ob er es (zunächst) fortsetzt.

3. Beschließt der Insolvenzverwalter, die Arbeitskraft eines Arbeitnehmers nach der Anzeige der Masseunzulässigkeit weiter in Anspruch zu nehmen, auch nur für eine bestimmte Zeit bis zu einer geplanten Stilllegung oder – wie hier – bis zu eine Personalanpassung, spricht er in einem solchen Fall während der Weiterbeschäftigung eine Kündigung aus, die vom Arbeitnehmer erfolgreich mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen oder – wie hier – vom Insolvenzverwalter zurückgenommen wird, dann sind die daraus entstehenden Annahmeverzugsansprüche Neumasseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO.

 

Normenkette

BGB §§ 611, 615; InsO § 55 Abs. 1 Nr. 2, § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3, Abs. 1 Nr. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Bielefeld (Urteil vom 08.09.2004; Aktenzeichen 3 Ca 448/04)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 08.09.2004 – 3 Ca 448/04 – teilweise abgeändert.

Der Beklagte zu 1) wird verurteilt, an den Kläger 6.187,63 EUR brutto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlter 4.102,49 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2004 zu zahlen.

Die Berufungen gegen die Beklagte zu 2) und gegen die Beklagte zu 3) werden als unzulässig verworfen.

Die Kosten des ersten Rechtszuges haben der Beklagte zu 1) zu ¾ und die Beklagte zu 3) zu ¼ zu tragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens haben der Beklagte zu 1) zu-1/3 und der Kläger zu 2/03 zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das erstinstanzliche Verfahren auf 2.731,24 EUR und für das Berufungsverfahren auf 2.085,14 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten noch über Entgeltansprüche gegen den Beklagten zu 1) als Insolvenzverwalter und gegen die Beklagte zu 2) und zu 3) als Betriebsübernehmerinnen.

Der Beklagte zu 1) ist der durch Beschluss des Amtsgerichts Bielefeld vom 01.02.2003 über das Vermögen der B2xxxx & H3xxxxx GmbH & Co. KG (Insolvenzschuldnerin) eingesetzt Insolvenzverwalter. Es zeigte unter Bezugnahme auf das Insolvenzeröffnungsgutachten vom 27.01.2003 noch am Eröffnungstag die Masseunzulänglichkeit an, die vom Amtsgericht Bielefeld mit Beschluss vom 03.02.2003 öffentlich bekannt gemacht worden ist. Zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung standen fällige Verbindlichkeiten in Höhe von 19,5 Mio. EUR liquide Mittel und ggf. kurzfristig liquidierbare Vermögenswerte in Höhe von ca. 15,5 Mio. EUR gegenüber. Insoweit lag der Insolvenzeröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit vor. Ebenfalls lag Überschuldung vor, denn Verbindlichkeiten in Höhe von 47,0 Mio. EUR standen – unter Einreichung der noch in Ausführung befindlichen Aufträge – Vermögenswerte in Höhe von 43,1 Mio. EUR gegenüber. Der Beklagte zu 1) konnte das Insolvenzverfahren seinerzeit nur eröffnen und den Betrieb der Insolvenzschuldnerin – wenn auch in drastisch eingeschränkter Weise – fortsetzen, weil es ihm gelungen war, einen Massekredit von 1,25 Mio. EUR von der Sparkasse B6xxxxxxx zu erlangen. Trotz der mit Wirkung vom 01.01.2004 vorgenommenen Übertragungen der Niederlassung S3xxxxxxxx auf die Beklagte zu 2) und der Niederlassung E1xxx auf die Beklagte zu 3) sowie der beiden Niederlassungen D3xxxxx und L2xxxxx an zwei weitere, ebenfalls neu gegründete „B2xxxx & H3xxxxx”-Firmen besteht nach dem insoweit nicht bestrittenen Vorbringen des Beklagten zu 1) Masseunzulänglichkeit w...

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