Entscheidungsstichwort (Thema)

Kriterien für die Sozialauswahl bei einer betriebsbedingten Kündigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Arbeitnehmer, der zum Zeitpunkt einer betriebsbedingten Kündigung fast 35 Beschäftigungsjahre bei dem Arbeitgeber zurückgelegt hat, ist gegenüber einem Arbeitnehmer mit nur sechs Beschäftigungsjahren signifikant schutzwürdiger.

2. Bei der Sozialauswahl darf nicht darauf abgestellt werden, dass der gekündigte Arbeitnehmer die Regelaltersgrenze überschritten hat und insgesamt ausreichend versorgt ist, weil er die Regelaltersrente bezieht, da allgemeine sozialpolitische Wertungen bei der Sozialauswahl außer Betracht zu bleiben haben.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 3 S. 1 Hs. 1, § 9 Abs. 1; SGB VI § 41

 

Verfahrensgang

ArbG Hagen (Westfalen) (Entscheidung vom 15.01.2015; Aktenzeichen 4 Ca 1219/14)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 27.04.2017; Aktenzeichen 2 AZR 67/16)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 15.01.2015 - 4 Ca 1219/14 - wird zurückgewiesen.

Der hilfsweise gestellte Antrag des Beklagten, gerichtet auf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung, wird abgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten zweitinstanzlich um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung. Der Kläger begehrt seine Weiterbeschäftigung, hilfsweise die Verschaffung eines anderen Arbeitsverhältnisses, während der Beklagte hilfsweise die Auflösung des Arbeitsverhältnisses verlangt.

Der am 14.11.1947 geborene, verheiratete Kläger trat mit Wirkung ab 02.01.1981 in ein Arbeitsverhältnis zum Beklagten bzw. seines Rechtsvorgängers, und zwar als juristischer Mitarbeiter zu einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von zuletzt 8.542,50 € auf der Basis eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 29.06.2012, auf dessen Inhalt als Anlage zum Sitzungsprotokoll vom 07.08.2015 Bezug genommen wird (Bl. 1035 ff. d. A.). Im Jahre 1993 wurde ihm vom damaligen Vorstand die Bezeichnung "stellvertretender Geschäftsführer der Abteilung Arbeitsrecht des Verbandes" verliehen, wobei es sich nach Mitteilung des Arbeitgebers gemäß Schreiben vom 31.03.2008 um keine "Funktionsbeschreibung als Arbeitnehmer" gehandelt hat, sondern um eine "rein vereinsrechtliche Bezeichnung" ohne Rechtsanspruch.

Der Kläger kam beim beklagten A, in dessen zwei Geschäftsstellen insgesamt ca. 25 Arbeitnehmer tätig sind, durchgehend in der Geschäftsstelle H zum Einsatz - neben dem weiteren juristischen Mitarbeiter D, während die anderen vier juristischen Mitarbeiter A, C, W und F in I tätig sind.

Für die neben dem Kläger insgesamt fünf juristischen Mitarbeiter der juristischen Abteilung ergeben sich folgende Sozialdaten:

- A, geb. am 20.02.1974, tätig seit 01.02.2001, verheiratet, ein Kind;

- C, geb. am 30.09.1957, tätig seit 12.09.1990, verheiratet, zwei Kinder;

- W, geb. am 16.02.1968, tätig seit 01.04.1998, verheiratet, zwei Kinder;

- D, geb. am 24.05.1965, tätig seit 01.05.1999, verheiratet, zwei Kinder;

- F, geb. am 21.07.1979, tätig seit 01.09.2007, verheiratet, ein Kind.

Nach ergebnislos gebliebenen Gesprächen der Parteien über eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses sprach der Beklagte dem Kläger während dessen Urlaubsabwesenheit mit Schreiben vom 23.05.2014, zugegangen am 23.05.2014, die streitbefangene betriebsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2014 aus (Bl. 10 d. A.).

Zwischenzeitlich wurde mit Schreiben vom 30.04.2015 "höchst vorsorglich" eine zweite auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützte Kündigung zum 31.12.2015 ausgesprochen, gegen deren Wirksamkeit sich der Kläger vor dem Arbeitsgericht Hagen (Az.: 4 Ca 968/15) wendet.

Der Kläger hat behauptet, anlässlich der letzten Vertragsmodifikation im Jahre 2012 sei mit dem Geschäftsführer des Beklagten, T, auch der Zeitpunkt des Rentenbezugs diskutiert worden; dabei sei eine mündliche Abrede dergestalt getroffen worden, dass er, der Kläger, solange arbeiten könne, wie er möchte. Schon deshalb sei eine ordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses gar nicht möglich.

Abgesehen davon sei das Beschäftigungsbedürfnis für ihn nicht entfallen. So hätten sich beispielsweise ab Oktober 2013 Firmenanfragen verdoppelt, so dass sich die Tätigkeiten, die nicht in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren enden würden, dramatisch erhöht hätten.

Auch die vorgenommene Sozialauswahl sei unwirksam, weil er bei bestehender Vergleichbarkeit mit allen anderen fünf juristischen Mitarbeitern besonders schutzbedürftig sei.

Schließlich würde er durch die Kündigung unmittelbar auch wegen seines Alters benachteiligt.

Soweit hier von Interesse, hat der Kläger beantragt,

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 23.05.2014, zugegangen am 23.05.2014, zum 31.12.2014 beendet worden ist,
  2. den Beklagten zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen als jur...

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