Entscheidungsstichwort (Thema)

Unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers bzgl. der Änderung des Anforderungsprofils für die bei ihm beschäftigten Monteure im Hinblick auf eine Impfung gegen das Corona-Virus. Absehen von der Aufhebung eines gegen § 301 Abs. 1 ZPO verstoßenden Teilurteils und der Zurückverweisung an das Arbeitsgericht bzw. dem "Hochziehen" des erstinstanzlich anhängigen Teils

 

Leitsatz (amtlich)

1. Von der Aufhebung eines gegen § 301 Abs. 1 ZPO verstoßenden Teilurteils und der Zurückverweisung an das Arbeitsgericht bzw. dem "Hochziehen" des erstinstanzlich anhängigen Teils kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn bei Aufrechterhaltung des Teilurteils weder die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen besteht noch der Verfahrensfehler weiter vertieft wird. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich die prozessuale Situation so entwickelt hat, dass es nicht mehr zu widersprüchlichen Entscheidungen kommen kann (vgl. BAG vom 30.05.2018 - 10 AZR 780/16 - Rn. 22).

2. In der Zusicherung des Arbeitgebers gegenüber seinen Kunden, für die Arbeiten bei ihnen vor Ort ausschließlich gegen das Corona-Virus geimpfte Monteure einzusetzen, liegt eine unternehmerische Entscheidung, mit der Arbeitgeber das Anforderungsprofil für die bei ihr beschäftigten Monteure ändert. Eine unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers kann auch darin liegen, ab einem bestimmten Zeitpunkt eine Impfung zur Voraussetzung für die Ausübung bestimmter Tätigkeiten zu machen. Der Arbeitgeber hat jedoch darzulegen, dass es sich hierbei nicht nur um eine "wünschenswerte Voraussetzung", sondern um ein nachvollziehbares, arbeitsplatzbezogenes Kriterium handelt (vorliegend verneint).

 

Normenkette

ZPO § 301; KSchG § 1

 

Verfahrensgang

ArbG Herne (Entscheidung vom 16.11.2022; Aktenzeichen 1 Ca 101/22)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Herne vom 16.11.2022 - 1 Ca 101/22 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Die Beklagte ist ein auf dem Gebiet der Beschichtungstechnik, Anlagensanierung und Anlagenbau tätiges Unternehmen mit Sitz in A. Sie hat einen weiteren Standort in B.

Sie beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden.

Der am 31.01.1961 geborene Kläger war seit dem 01.06.2012 auf Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 30.05.2012/ 31.05.2012 (Bl. 6 ff. GA) als Monteur bei der Beklagten beschäftigt. In der Vergangenheit war er auch im Rahmen kurzer Aushilfseinsätze im Lager oder der Materialproduktion als Helfer eingesetzt. Seine Tätigkeit als Monteur bestand im Wesentlichen aus Be- und Entschichtungsarbeiten, Schlosserarbeiten sowie De-/ Montagearbeiten von Anlagenbauteilen, wobei der Kläger auf Baustellen im In- und Ausland eingesetzt war. Seine Einsätze erfolgten zuletzt bei nachfolgenden Kunden:

- C GmbH, XXXXX

- D B.V.

- E

- F AG XXXX

- G. XXXXX

Ausweislich der von dem Kläger mit der Klageschrift eingereichten Lohnabrechnungen für die Monate August, September und Oktober 2021 (Bl. 9-11 GA) bezog der Kläger inklusive Spesen und weiterer Zulagen zuletzt eine durchschnittliche Vergütung von 3.595,88 € brutto monatlich.

Der Kläger war nicht gegen das Corona-Virus geimpft.

Mit Rundschreiben vom 25.08.2021 (Bl.12 GA) teilte die Beklagte ihren Beschäftigten unter anderem mit, dass sie wissen müsse, welche Mitarbeiter schon geimpft und welche Mitarbeiter noch nicht geimpft seien, da von ihren Kunden auf deren Gelände vermehrt gefordert werde, dass nur noch geimpfte Mitarbeiter einsetzt werden dürfen. Des Weiteren wies sie darauf hin, dass wöchentlich ein negativer Covid-19 SARS-CoV-2 Antigen-Schnelltest vorgelegt werden müsse. Für Mitarbeiter, die sich nicht impfen lassen wollten, gelte ab dem 01.09.2021 das Gleiche mit dem Zusatz, dass Mitarbeiter ohne Impfung auf Baustellen nicht mehr eingesetzt werden könnten, was dann zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen werde.

Im September 2021 bis einschließlich dem 06.10.2021 war der Kläger auf einer Baustelle in den Niederlande eingesetzt. Anschließend befand er sich bis zum 31.10.2021 im Urlaub.

Mit einem weiteren Schreiben vom 12.10.2021 (Bl.94.M GA) wies die Beklagte ihre Mitarbeiter darauf hin, dass ihr Geschäft sehr stark abhängig vom Außenkontakt sei. Von daher müssten sämtliche Mitarbeiter, die Kontakt mit Kunden hätten, geimpft sein, es sei denn, es lägen gesundheitliche Gründe vor, die dies unmöglich machten. 90 % ihrer Kunden bestünden darauf, dass nur geimpfte Mitarbeiter mit ihren Mitarbeitern Kontakt haben dürften. Sofern keine Bereitschaft bestehe, sich impfen zu lassen, führe dies für die betreffenden Mitarbeiter zwangsläufig zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Für Mitarbeiter im Innendienst gelte eine besondere Schutzpflicht gegenüber den Arbeitskollegen. Sofern der Impfstatus ungewiss sei oder ein Impfschutz nicht vorliege, müssten die bet...

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