Entscheidungsstichwort (Thema)

Versetzung einer Flugbegleiterin bei Schließung des Stationierungsstandortes. Unwirksame Änderungskündigung bei weitergehender Vertragsänderung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der regelmäßige Arbeitsort einer Flugbegleiterin ist nicht ein stationärer Ort wie der Flughafen sondern das Flugzeug selbst. Die organisatorische Zuordnung zu einem konkreten Flughafen und die teilweise Eingliederung in dessen Organisationsstruktur begründen daher keinen gewöhnlichen Arbeitsort sondern legen vielmehr den Ort fest, an dem das fliegende Personal den Dienst anzutreten hat.

2. Kann eine Flugbegleiterin vertragsgemäß “an einem anderen Ort„ eingesetzt werden, ist erkennbar ein Versetzungsvorbehalt in Bezug auf den Einsatzort bestimmt.

3. Die Entscheidung eines Luftfahrunternehmens, Personal dort zu bündeln und einzusetzen, von wo aus die Flugumläufe starten, ist nicht rechtsmissbräuchlich oder willkürlich, erscheint wirtschaftlich betrachtet als vernünftig und bedeutet eine leichter umzusetzende Einsatzplanung des fliegenden Personals. Ob sie die zweckmäßigste und tatsächlich wirtschaftlich vernünftigste Entscheidung ist, ist nicht maßgeblich.

4. Beruft sich die Arbeitgeberin auf wirtschaftliche Erwägungen, die durch die strukturelle Reform der Direktflüge und die dadurch bedingte geringere Anzahl von Abflügen begründet sind, verbunden mit der Entscheidung, alle Umläufe von einem anderen Standort aus starten zu lassen, hat das Interesse einer Flugbegleiterin an der Beibehaltung ihres bisherigen Einsatzorts gegenüber den Interessen der Arbeitgeberin zurückzutreten, soweit die zweifellos auftretenden Unbequemlichkeiten und zusätzlich entstehenden Kosten im Grundsatz nicht über das hinausgehen, was den Beschäftigten regelmäßig mit den Belastungen des Weges zur und von der Arbeit zugemutet wird.

5. Eine betriebsbedingte Änderungskündigung ist nur wirksam, wenn sich die Arbeitgeberin bei einem anerkennenswerten Anlass darauf beschränkt, lediglich solche Änderungen vorzuschlagen, welche die Arbeitnehmerin billigerweise hinnehmen muss. Ob die Arbeitnehmerin eine ihr vorgeschlagene Änderung billigerweise hinnehmen muss, ist nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu ermitteln, so dass die Änderungen geeignet und erforderlich sein müssen, um den Inhalt des Arbeitsvertrags den geänderten Beschäftigungsmöglichkeiten anzupassen.

 

Normenkette

GG Art. 12 Abs. 1-2; GewO § 106 S. 1; BGB § 315; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3, § 2; ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 15.10.2014; Aktenzeichen 28 Ca 131/14)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 30.11.2016; Aktenzeichen 10 AZR 11/16)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 15. Oktober 2014 - 28 Ca 131/14 - wird als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen die Abweisung des Klageantrages zu 3. richtet. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 15. Oktober 2014 - 28 Ca 131/14 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte zu 75/100 und die Klägerin zu 25/100 zu tragen.

Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.

Die Revision wird für die Beklagte nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Versetzung sowie einer Änderungskündigung.

Die 1974 geborene und gegenüber einem Kind unterhaltspflichtige Klägerin ist seit dem 06. Mai 1996 zunächst als Flugbegleiterin und sodann als Purserette in Vollzeit zu einer monatlichen Vergütung von zuletzt 4.281,55 € brutto bei der Beklagten beschäftigt. Der Arbeitsvertrag der Parteien vom 22. April 1996 regelt (Anlage K 1 - Bl. 9 d.A.):

"1. Beginn, Art und Ort der Beschäftigung

(1) ... [Die Klägerin ] wird ab dem 06.05.1996 als Flugbegleiterin im Bereich Kabinenbesatzungen Kontinent in H. beschäftigt. Der Einsatzort H. umfasst einen Einsatz von und zu allen Flughäfen der Region.

(2) ... [Die Beklagte] kann ... [die Klägerin] an einem anderen Ort sowie vorübergehend bei einem anderen Unternehmen einsetzen.

2. Rechte und Pflichten

Die gegenseitigen Rechte und Pflichten ergeben sich aus den für den Bereich Kabinenbesatzungen Kontinent geltenden Tarifverträgen, den Betriebsvereinbarungen in ihrer jeweils geltenden Fassung sowie aus den für den Bereich Kabinenbesatzungen Kontinent gültigen Dienstvorschriften und Anweisungen und aus den Bestimmungen dieses Vertrages."

Im Betrieb der Beklagten besteht eine Personalvertretung.

Am 08. Mai 2013 (Anlage B 4 - Bl. 72R d.A.) schlossen die Beklagte sowie die Gesamtvertretung für das fliegende Personal der Beklagten einen Interessenausgleich und Sozialplan, nach dessen § 3 die Geschäftsleitung der Beklagten beschlossen hatte, die direkten Europaverkehre der Beklagten, die alle innerdeutschen und europäischen Verbindungen außerhalb der Drehkreuze F. und M. umfassen, zum 01. Januar 2013 kommerziell und organisatorisch mit G. auf Basis der G. GmbH zusammenzuführen und die dezentralen Stationierungsorte H., B. und S. zu...

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