Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame vorsorgliche Änderungskündigung zur Versetzung einer Flugbegleiterin an einen anderen Stationierungsort

 

Leitsatz (amtlich)

1. Erlaubt der Arbeitsvertrag den Einsatz einer Flugbegleiterin an einem anderen als dem im Vertrag genannten Stationierungsort, kann der Arbeitgeber sie unter der Voraussetzung, dass die Grundsätze billigem Ermessen gewahrt sind (§ 106 Satz 1 GewO), durch Weisung an einen anderen Ort versetzen. Bei der nach § 106 Satz 1 GewO gebotenen Interessenabwägung fällt auf Seiten des Arbeitgebers erheblich ins Gewicht, wenn er die unternehmerische Entscheidung zur Schließung der Station am bisherigen Einsatzort der Flugbegleiterin getroffen hat. Eine Regelung in einem Interessenausgleich/Sozialplan, mit der dem betroffenen Kabinenpersonal zur Milderung der sozialen Folgen angeboten wird, für zwei Jahre "virtuell" am bisherigen Standort verbleiben zu können, stellt die unternehmerische Entscheidung zur Stationsschließung nicht in Frage (a.A. Hessisches LAG, 07.09.2015 - 17 Sa 1293/14 - juris Rn 120).

2. Strebt der Arbeitgeber durch eine zusätzlich zu einer Direktionsrechtsausübung "höchst vorsorglich" ausgesprochene Änderungskündigung weitergehende Änderungen der Arbeitsbedingungen an, ist die Änderungskündigung auch dann, wenn die Änderung Direktionsrechtsausübung rechtswirksam ist, nicht "überflüssig" i. S. der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 28.08.2013 - 10 AZR 569/12 - juris Rn 48). Muss der Arbeitnehmer die weitergehenden Änderungen billigerweise nicht hinnehmen, ist die Änderungskündigung unwirksam.

 

Normenkette

GewO § 106; BGB § 626; KSchG § 4 S. 2; GewO § 106 S. 1; BGB §§ 315, 626 Abs. 1; KSchG § 2

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 10.06.2015; Aktenzeichen 3 Ca 226/15)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 10.06.2015 - 3 Ca 226/15 - teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom 26. März 2014 rechtsunwirksam ist.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Parteien haben jeweils die Hälfte der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Versetzung und die Wirksamkeit einer Änderungskündigung.

Die in der Nähe von Hamburg wohnhafte, am ... geborene Klägerin ist seit dem 30. Mai 1998 aufgrund Arbeitsvertrages vom 11. Mai 1998 (Anlage K 1, Bl. 9 f. d. A.) bei der Beklagten, einem Luftfahrtunternehmen mit regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmern, als Flugbegleiterin beschäftigt. Sie ist verheiratet und hat 2 Kinder. Die Klägerin pflegt ihren schwer an Krebs erkrankten Vater, der 20 Minuten vom Wohnort der Klägerin entfernt lebt. Sie unterstützt ihre Mutter mindestens drei bis viermal in der Woche auch in der Nacht bei der 24-Stunden-Betreuung. Ihre Arbeitszeit ist auf 52 % der manteltarifvertraglichen regelmäßigen Arbeitszeit reduziert. Ihr durchschnittliches monatliches Bruttoeinkommen beträgt 1.745,09 €.

Der Arbeitsvertrag der Parteien beinhaltet folgende Regelung:

"1. Beginn, Art und Ort der Beschäftigung

(1) Frau H. wird ab dem 30.05.1998 als Flugbegleiterin im Bereich Kabinenbesatzungen Kontinent in Hamburg beschäftigt.

(...)

(2) L. kann Frau H. an einem anderen Ort sowie vorübergehend bei einem anderen Unternehmen einsetzen.

2. Rechte und Pflichten

Die gegenseitigen Rechte und Pflichten ergeben sich aus den für den Bereich Kabinenbesatzungen Kontinent geltenden Tarifverträgen, den Betriebsvereinbarungen in ihrer jeweils geltenden Fassung sowie aus den für den Bereich Kabinenbesatzungen Kontinent gültigen Dienstvorschriften und Anweisungen und aus den Bestimmungen dieses Vertrages."

Für den weiteren Inhalt des Arbeitsvertrages wird auf die Anlage K 1, Bl. 9 f. d.A. verwiesen.

Im Betrieb der Beklagten besteht eine Personalvertretung.

Am 12. Dezember 2012 unterbreitete die Beklagte der Klägerin ein Abfindungsangebot für ein Ausscheiden spätestens zum 31. Dezember 2014 entsprechend der Anlage K 2 (Bl. 11 ff. d.A.), das die Klägerin nicht annahm.

Am 12. April 2013 wurde durch Änderungs- und Ergänzungstarifvertrag aufgrund einer Schlichtungsausschussempfehlung für die Flugbegleiter an den dezentralen Standorten die Möglichkeit geschaffen, im Wege der befristeten Arbeitnehmerüberlassung an G. vom bisherigen Stationierungsort aus zum Einsatz zu kommen. Auf die Anlage B 3, Bl. 65 R ff. d.A. wird verwiesen.

Am 8. Mai 2013 schlossen die Beklagte sowie die Gesamtvertretung für das fliegende Personal der Beklagten "aus Anlass der Schließung der dezentralen Stationierungsorte Hamburg, B. und S." einen Interessenausgleich und Sozialplan. § 3 des Interessenausgleichs enthält eine Erklärung der Beklagten zu den Zielen und Maßnahmen der Betriebsänderung. Nach § 5 des Interessenausgleichs sind Beendigungskündigungen aus Anlass von Standortschließungen a...

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