Entscheidungsstichwort (Thema)

Gemeinnützige GmbH. Nichtigkeit einer Betriebsratswahl. Einrichtung einer Religionsgemeinschaft. Karitative Einrichtung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Zuordnungskriterien für die Annahme einer Einrichtung einer Religionsgemeinschaft i.S.des § 118 Abs. 2 BetrVG.

2. Zum Begriff der karitativen Einrichtung in § 118 Abs. 2 BetrVG und, der aus dem verfassungsrechtlich gebotenen Selbstverwaltungsrecht der Kirche gegenüber § 118 Abs.1 BetrVG gebotenen ausweitenden Interpretation.

 

Normenkette

BetrVG § 118 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Beschluss vom 10.04.2006; Aktenzeichen 21 BV 10/05)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerden der Beteiligten zu 1) und 4) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 10. April 2006 – 21 BV 10/05 – abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die unter dem 08. April 2005 im Betrieb der Beteiligten zu 4) durchgeführte Betriebsratswahl unwirksam ist.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.

Die Beteiligte zu 4. ist eine gemeinnützige GmbH, die ausschließlich steuerbegünstigte Zwecke im Sinne der Abgabenordnung verfolgt.

Für ihre Einrichtungen ist sie Mitglied im D. Werk H. e.V.. Ihre Gesellschafter sind mehrere kirchliche Einrichtungen und Untergliederungen. Sie ist im Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche vom 29. November 2005 (Anlage ASt 9, Bl. 133 f. d. A., Schlussprotokoll zu Art. 3) als selbständige Einrichtung der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Freien und Hansestadt Hamburg aufgeführt.

Die Beteiligte zu 4. betreibt mit Geldern der Bundesagentur für Arbeit mehrere Arbeitslosenprojekte. Sie befasst sich mit der beruflichen Qualifizierung von Erwerbslosen. Gegenwärtig arbeitet sie mit rd. 600 Langzeitarbeitslosen.

Dies ist auch ihr festgelegter Zweck, der unter Ziffer 4 des Gesellschaftsvertrags wie folgt beschrieben ist:

„Zweck der Gesellschaft ist die berufliche Qualifizierung von Erwerbslosen und von Erwerbslosigkeit Bedrohter, um deren Beschäftigungsfähigkeit zu verbessern und Zugänge zu Arbeit und Ausbildung zu ermöglichen”.

Die Beteiligten zu 1., 2. und 3. sind Arbeitnehmer der Beteiligten zu 4.

Am 8. April 2005 wählten die bei der Beteiligten zu 4. beschäftigten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen einen Betriebsrat, den Beteiligten zu 5. Der Wahlvorstand gab am 14. April 2005 das Ergebnis bekannt.

Die Beteiligten zu 1., 2. und 3. haben, ebenso wie ihre Arbeitgeberin, die Auffassung vertreten, dass die Beteiligte zu 4. eine Einrichtung nach § 118 Abs. 2 BetrVG sei. Deswegen finde das Mitarbeitervertretungsgesetz (MVG) der evangelischen Kirche Anwendung. Die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen der Beteiligten zu 4. hätten daher keinen Betriebsrat wählen dürfen.

Mit ihrem Antrag vom 25. April 2005 haben die Beteiligten zu 1., 2. und 3. geltend gemacht, dass die Betriebsratswahl vom 8. April 2005 für unwirksam zu erklären sei. Die Beteiligte zu 4. hat sich dem Antrag angeschlossen.

Die Beteiligten zu 1. bis 4. haben insbesondere gemeint, die Beteiligte zu 4. sei auch karitativ im Sinne des § 118 Abs. 2 BetrVG. Der Begriff der karitativen Einrichtung in § 118 Abs. 2 BetrVG sei nach dem Selbstverständnis der Kirche von dieser zu bestimmen. Dies folge aus dem den Kirchen durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung (WRV) garantierten Selbstverwaltungsrecht. Dies umfasse auch die Befugnis der Kirche, selbst darüber zu entscheiden, durch welche Mittel und Einrichtungen sie ihren Auftrag in der Welt wahrnehmen will. Die Beurteilung, ob eine Betätigung karitativ ist, obliege daher allein der Kirche. Eine Vorgabe des Staates, welche kirchliche Betätigung karitativ sei, wäre ein unzulässiger Eingriff in das verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltungsrecht der Kirche.

Es sei daher irrelevant, dass sich die Arbeit der Gesellschaft äußerlich nicht von Arbeitslosenprojekten anderer Träger unterscheide. Maßgebend sei, dass nach dem Selbstverständnis der evangelischen Kirche die Ausübung der Religion nicht nur die Bereiche des Glaubens und des Gottesdienstes umfasse, sondern auch die Freiheit zur Entfaltung und zur Wirksamkeit in der Welt, wie es der religiösen Aufgabe der Kirche entspreche. Hierzu würden auch die praktischen Hilfsangebote der Gesellschaft für Langzeitarbeitslose zählen.

Für ein solches Selbstverständnis der Evangelischen Kirche und des D. Werk spreche das Leitbild der Diakonie (Anlage B 6 der Beteiligten zu 4, Bl. 42 d. A.). Danach begleitet und berät die Diakonie Menschen in allen Lebenslagen; sie pflegt und heilt, tröstet, stärkt und fördert sie und bildet sie aus.

Weiter heißt es dort u.a.:

„Wir verstehen helfende Beziehungen umfassend als Für-, Vor- und Nachsorge. Dabei geht es uns sowohl um den Menschen in seiner persönlichen Situation als auch in seinen sozialen Verhältnissen. Deshalb ist die Integration Ausgegrenzter, Armer und Schwacher in der Gesellschaft – insbe...

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