Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsübergang. Unterrichtungsschreiben. Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses. Fehlerhafte Unterrichtung über den Betriebübergang. Verwirkung des Widerspruchsrechts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Rügt ein Arbeitnehmer gegenüber dem Betriebsveräußerer die Fehlerhaftigkeit des Unterrichtungsschreibens und behält er sich ausdrücklich vor, sein Widerspruchsrecht nach dem Eingang weiterer Informationen durch den Betriebsveräußerer noch auszuüben, so kann darin ein vertrauenszerstörender Umstand liegen, der eine Verwirkung des Rechts, den Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses zu erklären, unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ausschließen kann.

2. Läuft die Widerspruchsfrist wegen einer fehlerhaften Unterrichtung nicht, so kommt der Erhebung oder Nichterhebung einer Kündigungsschutzklage gegen eine vom Erwerber ausgesprochene Kündigung grundsätzlich kein Erklärungswert hinsichtlich der Frage zu, ob das Widerspruchsrecht noch ausgeübt werden soll oder nicht. Erhebt der Arbeitnehmer keine Kündigungsschutzklage, so nimmt er damit lediglich das rechtliche Risiko in Kauf, dass sein Arbeitsverhältnis zum Erwerber – so dieser sein Arbeitgeber geworden sein sollte – durch die nicht angegriffene Kündigung beendet ist.

3. Geht ein Arbeitnehmer nach Erklärung des Widerspruchs ein neues Arbeitsverhältnis ein, so handelt er – insbesondere im Hinblick auf § 615 S. 2 BGB – in der Wahrnehmung berechtigter Interessen. In diesem Fall kann aus dem Abschluss des neuen Arbeitsvertrages nicht der Schluss gezogen werden, der Arbeitnehmer habe keinen Rückkehrwillen und „verdiene” den Schutz des § 613 a BGB nicht.

 

Normenkette

BGB § 613a Abs. 5-6, §§ 242, 613a, 615 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Solingen (Urteil vom 14.11.2006; Aktenzeichen 5 Ca 924/06 lev)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 14.11.2006 – 5 Ca 924/06 lev – teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Anstellungsverhältnis besteht.

II. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Mit ihrer am 10.05.2006 beim Arbeitsgericht Solingen eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht. Zudem macht sie gegenüber der Beklagten Zahlungsansprüche geltend. Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber eines Betriebsteils der Beklagten wirksam widersprochen hat.

Die am 17.11.1960 geborene, verheiratete Klägerin war seit dem 01.09.1976 für die Beklagte zu einem monatlichen Bruttolohn in Höhe von zuletzt 1.287,60 EUR beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die chemische Industrie Anwendung.

Die Klägerin war schwerpunktmäßig im Geschäftsbereich Consumer Imaging (CI) tätig, der insbesondere die Geschäftsfelder Film, Finishing und Laborgeräte umfasste. Da dieser Geschäftsbereich seit mehreren Jahren einen massiven Umsatzrückgang zu verzeichnen hatte, hat die Beklagte zur Kostenreduzierung

Personalabbaumaßnahmen durchgeführt. Dazu gehörte unter anderem auch der Abschluss von Vorruhestandsverträgen oder Altersteilzeitvereinbarungen, in denen den jeweiligen Arbeitnehmern zum Teil erhebliche finanzielle Leistungen zugesagt wurden.

Unter dem Datum vom 14.10.2004 schloss die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste ab.

Ende des Jahres 2004 wurde der Geschäftsbereich CI im Wege eines Betriebsübergangs ausgegliedert und mit Wirkung zum 01.11.2004 auf die neu gegründete B. Photo GmbH übertragen.

Für die von dem Teilbetriebsübergang betroffenen Belegschaftsmitglieder fanden Informationsveranstaltungen statt. Unter anderem hat die Beklagte eine solche Informationsveranstaltung am 19.08.2004 abgehalten, bei der der spätere Geschäftsführer der B. Photo GmbH F. S., zum damaligen Zeitpunkt Mitglied des Vorstandes der Beklagten, Informationen zur wirtschaftlichen Situation der B. Photo GmbH erteilte. Außerdem wurden die Arbeitnehmer in Mitarbeiterzeitschriften über den bevorstehenden Teilbetriebsübergang unterrichtet. Im Monat September 2004 befanden sich in den betriebsinternen Magazinen die Zahlenangaben für die Erwerberin B. Photo GmbH von 300 Millionen Eigenkapitalsumme sowie 70 bzw. 72 Millionen Euro Barmittel.

Sämtliche dem Geschäftsbereich CI zugeordneten Arbeitnehmer der Beklagten haben im Oktober 2004 im Zusammenhang mit der Übertragung des Geschäftsbereichs CI eine im Wesentlichen gleich lautende schriftliche Information erhalten. Die Informationsschreiben unterscheiden sich allerdings abhängig von der jeweiligen arbeitsvertraglichen Situation der betroffenen Mitarbeiter in Einzelfragen voneinander.

Mit Schreiben vom 22.10.2004 wurde auch die Klägerin über die geplante Übertragung des Geschäftsbereichs CI informiert. Nach Hinweis auf die Informationspflicht gemäß § 613 a BGB und Wiedergabe des Textes von

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge